„24 Männer sind der traurige Rest eines einst mächtigen Protests“

Das bleibt von der Woche Der BER-Aufsichtsrat sucht seine Besatzung, die TU streitet über den Ehrendoktortitel des türkischen Ministerpräsidenten Yıldırım, Friedrichshain-Kreuzberg klagt gegen die O-Platz-Flüchtlinge, und das Sozialticket wird billiger

Und ewig kreist das Murmeltier

Der BER und der Mond

Es wird nix mit dem Abheben „Ende 2017“. Was niemanden überrascht

Seit Montag ist die Fertigstellung unseres Lieblingspannenflughafens BER gleichbedeutend mit einer Mondlandung. Der Vergleich geht auf Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke zurück. Der meinte im Tagesspiegel zwar explizit das Gegenteil, als er mit Bezug auf die Eröffnung des BER sagte: „Wir planen ja keine Mondlandung.“ Aber das Wort ist in der Welt, wird dort bleiben, und für manche Westberliner ist Schönefeld ähnlich weit weg und Brandenburg ähnlich trist wie der Mond.

Brandenburg ist wie Berlin und der Bund Bauherr des Flughafens. Woidke war über die am Wochenende von seinem Amts- und Parteikollegen Michael Müller ohne Rücksprache öffentlich gemachte fünfte Absage des Eröffnungstermins verstimmt. Es wird also nix mit dem Abheben „Ende 2017“. Was nicht überrascht.

Müller, immerhin Aufsichtsratschef des Flughafens, wusste selbst erst seit Mitte Januar von den jüngsten Problemen der Steuerung der 1.200 Türen im Flughafen. Letztlich hängt es also wieder an der Brandschutzanlage – wie schon bei der ersten Absage der Eröffnung 2012.

Also wundert es auch niemanden, dass von den neuen Berliner SenatorInnen niemand in den Aufsichtsrat will. Ramona Pop zum Beispiel, grüne Wirtschaftssenatorin, lehnt den Job ab, weil ihre Partei immer gefordert hat, nur Menschen mit Ahnung von der Materie in das Gremium zu entsenden. Zudem habe sie bereits jede Menge Aufsichtsratsposten.

Dem Regierenden kann das nicht gefallen. Schließlich war es immer gut, als Chef noch den einen oder anderen Mitwisser im Aufsichtsrat zu haben – selbst wenn dieser keine Ahnung hatte. So fällt es der CDU jetzt als Oppositionspartei schwer, die Schuld an der neuen Verschiebung Müller anzulasten, denn bis Dezember saß ja auch Frank Henkel noch in dem Gremium.

Die Debatte über den Aufsichtsrat gab es auch schon mal. Anfang 2015 wollte Müller den Chefposten nicht. Er musste ihn dann annehmen, weil weder der Bund noch Brandenburg – die eigentlich am Zug waren – einsprangen.

Angesichts so vieler Wiederholungen kommt man sich beim BER wie in einer Zeitschleife vor. Oder wie in einem Raumschiff, das um den Mond kreist – und nicht weiß, ob es mal landen kann. Bert Schulz

Gerechtigkeit geht noch anders

Billigeres Sozialticket

Wer etwas mehr Geld hat, zahlt nicht nur etwas mehr, sondern fast das Dreifache

Das Sozialticket soll billiger werden. Von bisher 36 auf 27,50 Euro will der Senat den Preis ab Juli senken, hat er am vergangenen Dienstag beschlossen. Das So­zialticket ist die BVG-Monatskarte für Unterstützungsempfänger. Wer einen Berlinpass hat, also Sozialhilfe, Hartz IV, Grundsicherung oder finanzielle Unterstützung als Asylbewerber bekommt, hat Anspruch auf den ermäßigten Fahrausweis, ebenso seine oder ihre Familienmitglieder.

Das ist richtig und steht der rot-rot-grünen Koalition gut. Wir reden hier von Menschen, die als Einzelne monatlich – exklusive Miete – maximal 409 Euro zur Verfügung haben, für jedes weitere Familienmitglied dann je nach dessen Alter 237 bis 368 Euro mehr. Sie müssten etwa 20 Prozent davon opfern, müssten sie den normalen Preis eines BVG-Monatstickets bezahlen.

Das ist, in die eine Richtung gedacht, ein gerechter Grundsatz. Wer weniger hat, soll weniger bezahlen. Denkt man in die andere Richtung, kann einem dennoch mulmig werden. Denn etwa der notgedrungen Teilzeit arbeitende, weil alleinerziehende Verkäufer, der, sagen wir, mit 900 Euro Einkommen, Kindergeld und Unterhalt vielleicht 1.200 Euro netto hat, zahlt nicht einfach nur mehr. Er muss fast das Dreifache bezahlen, stolze 81 Euro kostet das BVG-Monatsticket aktuell.

Und das ist nicht alles. Mangels Berlinpass kommt dieser Verkäufer, kommen die Wachschützerin, die Friseurin, der Erzieher in ähnlicher Situation auch nicht an andere Vergünstigungen. Sie zahlen den vollen Eintrittspreis für Schwimmbäder, Museen, Kinos, Theater, Zoo, Kurse an Musik- oder Volkshochschulen, Schulausflüge der Kinder und so fort. Das läppert sich. Und es ist ungerecht.

Angesichts der vielen GeringverdienerInnen in der Stadt sollte die Koalition deshalb noch einmal darüber nachdenken, wie man gerechte Politik noch besser gestalten kann. Bei den Kitas gab es einst einkommensabhängig gestaffelte Beiträge. Die wurden dann für alle Eltern komplett abgeschafft. Man kann wohl kaum der BVG überlassen, die Einkommen ihrer KundInnen zu prüfen. Aber bei der Vergabe des Berlinpasses ginge das. Alke Wierth

Die Diskussion ist wichtig

Yıldırıms Ehrendoktor

Es geht um die Frage, wie aus Lippen­bekenntnissen Solidarität werden kann

Was haben Max Frisch, Konrad Adenauer und der US-amerikanische Mathematiker Shiing-Shen Chern gemeinsam? Sie sind Ehrendoktoren der Technischen Universität Berlin (TU). Was haben Sie mit den allermeisten LeserInnen dieser Zeilen gemeinsam? Sie wussten das nicht.

Denn wer alles auf den meistens ziemlich langen und meistens ziemlich männlich geprägten Listen der Ehrendoktortitel einer Universität steht, das ist meistens ziemlich egal. Die Auszeichnung hat außer der Tatsache, dass der Träger sich künftig Dr. h. c. nennen und geehrt fühlen darf, keine Konsequenzen, einen akademischen Grad ersetzt der Titel nicht.

Es könnte also auch ziemlich egal sein, dass nach der Kurdischen Gemeinde Deutschland im November und dem Allgemeinen Studierendenausschuss der TU im Dezember nun auch viele DozentInnen die Universitätsleitung dazu auffordern, dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım die Ehrendoktorwürde abzuerkennen. Einen am Dienstag veröffentlichten offenen Brief haben bisher 100 WissenschaftlerInnen unterzeichnet, darunter auch viele Lehrende der TU Berlin.

Ist es aber nicht. Denn durch die maßgeblich von den StudentInnen getragene Initiative wird die Universität gezwungen, sich zum Fall Yıldırım zu positionieren. Und das ist wichtig, weil es in diesen Tagen existenziell ist, den massiven Umbau des türkischen Staates hin zu einem autoritären Regime mit faschistischen Zügen nicht unkommentiert zu lassen.

Dass die Universität nicht ohne Weiteres bereit ist, die Verleihung des Ehrendoktortitels zurückzunehmen, mag dabei auch bedenkenswerte Gründe haben: Sollten so Kooperationen mit türkischen Universitäten gefährdet werden, könnte das genau jenen türkischen Studierenden und Lehrenden schaden, die von solchen Kooperationen gerade profitieren.

Es geht also um die Frage, wie aus den Lippenbekenntnissen zugunsten der unter Druck geratenen türkischen AkademikerInnen echte Solidarität werden kann – und das ist, im Gegensatz zu einem meist an alte Männer verliehenen Ehrentitel, tatsächlich ein wichtiges Thema.

Malene Gürgen

Senat muss Versprechen halten

ORANIENPLATZ-FLÜCHTLINGE

Nun scheinen die Zeichen der Zeit gerade günstig zu stehen

Der letzte Akt im Drama um die Flüchtlinge vom Oranienplatz hat begonnen. Seit Mittwoch versucht der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg erneut vor Gericht, die Besetzer aus der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule herauszuklagen. Die 24 Männer sind der traurige Rest eines einstmals mächtigen Protests, dem zeitweilig rund 600 Geflüchtete vom Oranienplatz und der Schule angehörten.

Zur Erinnerung: Die Protestler räumten den Platz vor fast drei Jahren gegen die Zusage des Senats, ihre Aufenthaltspapiere großzügig zu prüfen – und wurden bitter getäuscht. Zwar sind die 24 nicht die einzigen Oranienplatz-Leute, die weiter in der Stadt leben. Etwa 130 werden von Kirchengemeinden versorgt, um weitere kümmern sich engagierte Einzelpersonen. Doch noch haben die Besetzer ihren Leidensgenossen etwas voraus, mit der Schuletage, die sie bewohnen, haben sie ein – wenn auch kleines – Unterpfand in der Hand: Im Tausch gegen legale Aufenthaltsmöglichkeiten würden sie die Schule verlassen, sagen sie.

Sollten sie den Prozess gegen den Bezirk verlieren, stehen sie mit leeren Händen da und sind, wie die übrigen O-Platz-Leute, auf das Wohlwollen von Politik und Verwaltung angewiesen. Nun scheinen die Zeichen der Zeit gerade günstig zu stehen: Rot-Rot-Grün hat im Koalitionsvertrag versprochen, alle gesetzlichen Möglichkeiten im Sinne der Geflüchteten zu nutzen. Und die Gespräche zwischen Senat und Kirche über die Zukunft der 130 Männer in Kirchenobhut scheinen, was man so hört, in eine positive Richtung zu laufen.

Dennoch läuft nicht alles, wie es sollte. Denn wie kann es sein, dass ein grün regierter Bezirk, der die Forderungen der Flüchtlinge verbal immer mitgetragen hat, diese vor die Tür zu setzen droht, bevor sie vom neuen Senat endlich Aufenthaltspapiere bekommen? Kann man da nicht ein paar Wochen warten?

Und warum, lieber neuer Innensenator, verhandeln Sie gerade nur über die Zukunft der 130 Kirchenflüchtlinge – nicht aber über all jene, die seinerzeit zum Protest dazugehörten? Warum sind Sie nicht großzügig und geben all jenen 570 Männern, die damals Vertrauen in das Abkommen mit dem Senat gesetzt hatten, kollektiv ein humanitäres Bleiberecht?

Das ist wohl das Mindeste, was die Leute nach all dem Herumgeschubse der letzten Jahre verdient haben. Und wenn Sie ehrlich sind, liebe Neuregierende, haben Sie das vor der Wahl auch immer gefordert.Susanne Memarnia