Spätes Dresdner Schlachtengetümmel

Im Nachwahlkampf bieten die Parteien ihre Elefanten auf. Die vermeintlichen Schicksalswähler sind genervt

Die CDU wirbt unverdrossen um Zweitstimmen – obwohl das Parteifreund Caesar schadet

DRESDEN taz ■ Schröder, Müntefering, Thierse, Stolpe, Merkel, Wulff, von Beust, Milbradt, Biedenkopf, Westerwelle, Gerhardt, Pieper, Gysi, Lafontaine, Künast, Voigt, Schönhuber. Kaum einer der Polit-Elefanten fehlte im Dresdner-Nachwahlkampf. Allein Edmund Stoiber erschien der Union aus nahe liegenden Gründen verzichtbar. Altkanzler Kohl wurde nur vom Arzt an einem Auftritt gehindert und schaltete dafür großformatige Zeitungsanzeigen für den CDU-Kandidaten Andreas Lämmel. Im Gefolge all dessen ein Medienaufgebot bis hin zu türkischen und japanischen Fernsehteams. So, als entschieden 219.000 Dresdner im Wahlkreis 160 am Sonntag über Aufstieg oder Niedergang der Nation.

Doch die vermeintlichen Schicksalswähler ahnen, dass es eigentlich gar nicht mehr um sie geht. Angesprochene winken meist ab oder lassen ironische Bemerkungen fallen. Ein Viertel von ihnen hat sich per Briefwahl schon dem verspäteten Schlachtgetümmel entzogen. Denn die Prominenzen kamen nicht, das Volk für sich zu begeistern. Auch die SPD glaubt nicht an die theoretische Möglichkeit, mit einem gigantischen Ergebnis in Dresden noch die Union einzuholen (siehe oben links). Die Berliner politische Schaubühne gab vielmehr ein Gastspiel in der Dresdner Provinz. Gespielt wurde nicht „Was ihr wollt“, sondern „Was ich will“. Es ging um Punkte für Verhandlungen, um Prestige, um Positionskämpfe. Die von den Parteien am häufigsten gebrauchten Begriffe lauteten „Zeichen“, „Signal“ und „Symbol“.

Die Darsteller aus Berlin rezitierten bei ihren Dresdner Auftritten im Wesentlichen die Textbausteine ihrer Wahlprogramme. Weiterführende Aussagen waren rar. Am weitesten ging noch die neue grüne Fraktionschefin Renate Künast. In einer Rede vor etwa 100 Anhängern im sechsten Stock des Dresdner Gewerkschaftshauses sprach sie von einem Parteiengefüge, das in Zukunft wahrscheinlich nur noch große Koalitionen oder Dreierbündnisse zulasse. Die Grünen sollten sich deshalb sowohl in Richtung Union als auch zur Linkspartei hin öffnen.

Die CDU plakatierte zwar für ihren Direktkandidaten Lämmel. Der selbst und auch Gäste wie der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust aber warben unverdrossen auch für die Zweitstimme, obschon zu viele davon ihrem Unionsfreund Caesar aus NRW das Bundestagsmandat kosten könnten. Der sächsische CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer bestritt jede Zurückhaltung gegenüber dem potenziellen Koalitionspartner SPD. Beim Kanzlerauftritt gestern in einem Biergarten an der Elbe demonstrierte die Junge Union vom Wasser aus gegen Gerhard Schröder.

Die FDP-Kandidatin Peggy Bellmann forderte Erststimmen für den CDU-Konkurrenten. Das eigene Ziel der FDP richtet sich auf mehr als 24.000 Zweitstimmen, die ihr noch ein Listenmandat im Bundestag bringen würden.

Gregor Gysi schlachtete diese „blöde Idee“ der FDP aus, die als künftige Oppositionspartei für die CDU Werbung mache. Die Linkspartei brachte in Dresden am Mittwoch mehr als 2.000 Anhänger auf die Straße. Gysi stellte dabei klar, dass Gerhard Schröder bei einem theoretischen dritten Kanzlerwahlgang keine Stimmen der Linkspartei bekommen werde. MICHAEL BARTSCH