HAMBURGER SZENE VON REBECCA CLARE SANGER
: Die Gans

Andernorts versammeln sich zu dieser Jahreszeit Gänse auf Feldern und Wiesen. Gänseteppiche. Schnattern und freuen sich auf den Winter – einen Winter in der Karibik oder so…

Sie werden im Fliegen schlafen, den Blick über die Alpen verpassen, sich an Telegrafenmasten aufhängen, ihre Füße werden das Wasser vermissen…

Aber diese hier: Diese Gans steht auf dem Bürgersteig zwischen Binnenalster und Berufsverkehr. Die Federn ihres rechten Flügels baumeln bedrohlich. Passanten sehen sie an und befürchten Selbstmordabsichten.

Ich jage sie auf den Grünstreifen zurück und bücke mich zu ihr. Sentimental beobachte ich, dass sie nur grast, wenn ich da bin. Sobald ich mich aufrichte, richtet auch sie sich auf, – sobald ich gehe, geht auch sie. Auf den Bürgersteig. Und dreht sich in Richtung der Autos.

Also kehre ich wieder um, jage sie zurück auf den Grünstreifen. Sie grast weiter, wir haben uns im Blick. Sie grast. Ich rede ihr zu. Sie grast. Ihr Flügel hängt matt.

Schließlich schnattere ich ihr kurz zu. Die Gans kackt, guckt, nimmt Anlauf – und fliegt auf die andere Seite der Straße vor die Kunsthalle.