„Regt sich wirklich jemand auf?“

Das bleibt von der Woche Der BER steht einfach nur still, unser Exredakteur Sebastian Heiser erscheint nicht vor Gericht, Andrej Holm bringt ordentlich Schwung in die stadtpolitische Bewegung – und Studierende zum Schreien

Die Bewegung gewinnt

Die Causa Holm

Gewinnerin des großen Holm-Schauspiels in 100 Akten: die Bewegung

In dieser Woche haben viele verloren: Zuerst natürlich Andrej Holm, der seinen Job als Staatssekretär ebenso los ist wie seine Anstellung an der Humboldt-Uni. Aber auch die Linkspartei, die sich zu Recht fragen lassen muss, ob sie nicht in der Lage war, Holm besser zu schützen, oder ob sie das nicht wollte. Und teilweise sogar die SPD, die es nun noch schwerer haben wird, sich als Mieterpartei zu inszenieren und deren Regierender Bürgermeister von den verschiedenen Lagern wahlweise für sein zu wurstiges oder zu autoritäres Gehabe kritisiert wird.

Es gibt aber auch eine Gewinnerin des großen Holm-Schauspiels in 100 Akten: die Bewegung. Und hier sei die Pauschalisierung erlaubt, obwohl es die Bewegung streng genommen natürlich nicht gibt. Denn gewonnen hat tatsächlich die außerparlamentarische Politik in Berlin schlechthin: Die sich oft in den Haaren liegenden Mieten-Initiativen sind sich einig wie nie, die StudentInnen besetzen endlich mal wieder einen Hörsaal, die Empörung über das Verhalten des Senats ist groß.

Aber wäre es für die Bewegung nicht viel besser gewesen, mit Holm einen Kandidaten aus ihrer Mitte auf einem Staatssekretärposten zu sehen, auf dass er dort ihre Forderungen umsetze? Die Antwort lautet: nein. Und das liegt nicht daran, dass Holm auf diesem Posten nichts hätte bewegen können – den Kapitalismus abgeschafft hätte er sicher nicht, aber die ein oder andere Verbesserung für die MieterInnen wäre vermutlich schon dabei herausgekommen.

Nur: Was wäre dann noch die Aufgabe der Bewegung gewesen? Ab und an an der Seite der Linkspartei dafür demonstrieren, dass ihrem Staatssekretär keine Steine in den Weg gelegt werden? Daran wäre sie ganz sicher nicht gewachsen. So aber hat sich auch in rot-rot-grünen Zeiten links des Parlaments ein Spielraum eröffnet – den man jetzt nur noch füllen muss.

Malene Gürgen

Es bleibt
eine
Leerstelle

taz-Spähaffäre

Es gab das Bedürfnis, die Geschichte zu Ende zu erzählen

Ein schmuckloser Raum im Amtsgericht Moabit. Nüchterne Büromöbel, türkisfarbener Teppich. Am Fenster sitzt am Montagmorgen die Staatsanwältin, in der Mitte der Richter, rechts der Anwalt des Angeklagten. Der Stuhl neben ihm ist leer. Eine Mitarbeiterin ruft über die Lautsprecheranlage: „Herr Heiser, bitte in den Sitzungssaal 4107 eintreten.“ Aber der Angeklagte erscheint nicht.

Der nicht besetzte Stuhl im Gerichtsraum versinnbildlicht ganz gut den Stand in der taz-Spähaffäre. Sebastian Heiser war bis vor zwei Jahren Redakteur im Berlinteil. Nachdem er mit einem Keylogger erwischt wurde – einer Art USB-Stick –, mit dem er offenbar Passwörter von KollegInnen abgefischt hatte , verschwand er von heute auf morgen aus der Redaktion, aus der Stadt. Er setzte sich nach Südostasien ab.

Manche KollegInnen reagierten damals mit Wut, andere mit Besorgnis. Die meisten aber stellten sich die Frage: Warum hat er das getan? Heiser war ja lange ein durchaus geschätzter Redakteur. Es gab ein Bedürfnis, diese unerwartete Wendung zu erklären, die Geschichte zu Ende zu erzählen. Vieles deutete darauf hin, dass seine Übergriffe privat motiviert waren. Ein Prozess hätte zur Klärung beitragen können.

Im Herbst 2016 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Abfangens und Ausspähens von Daten in 14 Fällen. Weil Heiser beim Gerichtstermin am Montag nicht auftauchte, erließ das Amtsgericht nun einen Strafbefehl von 160 Tagessätzen à 40 Euro gegen ihn. Sebastian Heiser soll also eine Geldstrafe von 6.400 Euro zahlen. Legt er innerhalb von zwei Wochen keinen Einspruch ein, kommt der Strafbefehl einem Urteil gleich. Für Heiser wäre das ein Schuldeingeständnis, die Verhandlung seines Falls vor Gericht würde er sich damit aber ersparen.

Gut möglich, dass Heiser sich für diesen Weg entscheidet. Dann müsste er sich niemandem gegenüber mehr erklären. Was bleibt, ist eine Leerstelle. Antje Lang-Lendorff

Streiten ist nicht niederbrüllen

Studenten qua Lautstärke

Von gesellschaft­lichem Miteinander war wenig zu spüren

Niederbrüllen. Pfeifen, Tröten. Die andere Meinung nicht anhören wollen. Alles sowieso schon besser wissen. Klingt nach Lutz Bachmann, nach Pegida, nach Mob. Ist ja auch oft so. Leider aber nicht nur dort. Denn wie am Mittwoch Studierende der Humboldt-Universität (HU) – ausgerechnet der Stätte universitärer Erleuchtung und Aufklärung – bei einer Pressekonferenz der HU zur Kündigung des Soziologen Andrej Holm auftraten, war kaum weniger erschreckend.

Andere qua Lautstärke und Masse niederzuhalten wäre schon bei einer öffentlichen Diskussion verwerflich genug. Am Mittwoch aber hatte HU-Präsidentin Sabine Kunst Journalisten zu einer Pressekonferenz eingeladen, um ihnen ihre Entscheidung in der Causa Holm zu verkünden – und sie zu begründen. Im großen Senatssaal der HU konnten aber auch Studierende Platz nehmen, um die Veranstaltung zu verfolgen.

Doch kaum hatte Kunst von einer ordentlichen Kündigung Holms berichtet, kam sie minutenlang nicht mehr zu Wort. Diverse Sprecher rissen zwischenzeitlich die Leitung an sich und missachteten komplett, was Kunst in den Tumult hinein sagt: „Ich glaube, Sie sollten mir erst mal zuhören.“ Denn ihre Entscheidung zu begründen, dazu war sie noch gar nicht gekommen. Was nach dem, was von Studierenden zu hören war, auch nicht nötig war: Für die war offenbar schon klar, dass Kunst, bis Frühjahr 2016 für die SPD Wissenschaftsministerin in Brandenburg, ferngesteuert von ihrem Parteifreund im Roten Rathaus handelte, von Regierungschef Michael Müller.

Der scheidende Bundespräsident hat am selben Tag nur ­wenige Kilometer entfernt in seiner vielleicht letzten Rede zu Streit ermutigt – aber zu einem mit Respekt, einem, der sich an demokratischen Regeln orientiert. Dass ausgerechnet Studierende der Soziologe dieses Bild von Streit so verzerrten, dass auch „Kunst muss weg“-Rufe im Stil des hetzerischen „Merkel muss weg“ zu hören waren, macht umso trauriger: Es ist die Fachrichtung, die im Kern das gesellschaftliche Miteinander erforscht – doch von diesem Miteinander war am Mittwoch wenig zu spüren.

Stefan Alberti

Wieder mal länger warten

BER mit neuen Problemen

Man ist der Sache auch einfach müde. Der Sache mit dem BER

Ganz schön viel Aufregung diese Woche: Da war natürlich der Fall des Stadtsoziologen und nun ehemaligen Staatssekretärs Andrej Holm. In diesem Zusammenhang musste sich die immer noch frische rot-rot-grüne Koalition erst einmal darüber verständigen, ob sie überhaupt noch weitermachen will. Und dann wurde auch noch in einer Tiefkühltruhe in Prenzlauer Berg die zerstückelte Leiche eines Rentners entdeckt. Von Trump und der Aufregung um seine Amtseinführung als neuer US-Präsident nicht zu reden.

Außerdem wurde Anfang dieser Woche bekannt, dass es da draußen auf einem Baufeld an der Stadtgrenze massive Probleme mit einer Menge von ­Automatiktüren und auch bei der Sprinkleranlage gibt. Fast schon gelassen aber wurde das registriert – weil halt auch die Aufmerksamkeitsspanne für Aufregungen begrenzt ist. War eben viel los diese Woche. Und weil man der Sache auch einfach müde ist. Der Sache mit dem BER. Wobei das bekannt gewordene Problem am Hauptstadtflughafen mit der Sprinkleranlage und den Automatiktüren – sie sind auch Teil der Entrauchungsanlage – für weitere Verzögerungen sorgen wird. Womit es bei dem ohnehin überstrapazierten Zeitplan mit einer Eröffnung des BER auch in diesem Jahr, wie eigentlich vorgesehen, schlicht nichts mehr ­werden kann.

Nur hat man das von verantwortlicher Seite noch gar nicht gehört, dass der Termin 2017 für die Eröffnung des BER tatsächlich aus dem Rennen ist. Nicht von BER-Chef Karsten Mühlenfeld und nicht von Berlins Regierendem und Flughafen-Aufsichtsratschef Michael Müller, der eben gerade auch an anderen Baustellen, der Koalition, gefordert ist.

Aber regt sich wirklich jemand auf? Darüber, dass ein weiteres Mal die Verschiebung eines Eröffnungstermins des BER auf den Spielplan gesetzt wird? Und darf man überhaupt auf 2018 hoffen? Oder hat man sich nicht längst daran gewöhnt, dass da draußen in Schönefeld eine bizarre Inszenierung von „Warten auf Godot“ läuft, Samuel Becketts existenzialistisch aufgeladenem Stück, mit dem immer wiederkehrenden Dialog:

Estragon: Komm, wir gehen!

Wladimir: Wir können nicht.

Estragon: Warum nicht?

Wladimir: Wir warten auf ­­Godot.

Estragon: Ah! Thomas Mauch