Urbaner Aufschrei

FADO Carminho heißt die derzeit angesagte Fadista Lissabons. Sieben Jahre hat die 28-jährige Sängerin mit der Aufnahme ihres Debüts gewartet. Reifen wollte sie. Nun ist die Sängerin mit der prägnanten Stimme zurück und auf dem besten Weg Europa zu erobern

Diesen Schmerz kann Carminho einfangen, herauspressen wie kaum eine andere

VON KNUT HENKEL

„Ich war ein Mädchen, das gerne gesungen hat, das Erfolg hatte, aber sich selbst noch nicht gefunden hatte. Eine Karriere kam damals einfach zu früh“, erinnert sich Carmo Rebelo de Andrade alias Carminho lächelnd. Zu jung fühlte sie sich für die große Bühne und so trat sie 2005 auf die Bremse. Damals hatte sie zahlreiche große Auftritte absolviert und mehrere Preise als Fado-Newcomerin gewonnen. Und da war ein Punkt erreicht, wo ihr der Rummel um ihre Person zu heftig wurde.

An die Uni ist sie geflohen, hat ihr Marketing-Studium abgeschlossen und dann den Rücksack geschnürt, um auf Entdeckungsreise zu gehen. Nach Indien, Timor, Kambodscha und Peru zog es sie. In Peru hat sie unter anderem für eine Hilfsorganisation gearbeitet, die dort nach dem Erdbeben 2007 der lokalen Bevölkerung im Süden Limas beim Wiederaufbau half. Für die junge Portugiesin eine wichtige Erfahrung, denn in dem guten Jahr, das sie unterwegs war, hat sie sich selbst gefunden und viel gelernt. „Meine Probleme zu relativieren, die Unterschiede zu verstehen, zu respektieren und zu schätzen. Danach war ich weiter, wusste wo ich stehe“ .

Das war die Vorraussetzung, um die Karriere als Fadista wieder aufzunehmen. Nun fühlte sich die kleine Frau mit der großen Stimme reif und ihr Debüt mit dem schlichten Titel „Fado“ wurde 2009 zum großen Erfolg in Portugal. Knapp 40 Wochen hielt sich das Album in den Charts und die Kritiker sahen sich mit ihren überschwenglichen Prognosen von einst bestätigt. Carminho wurde zum neuen Star des Fado. Der wurde 2011 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt – und es war Carminho vorbehalten, beim Festakt im Pariser Unesco-Hauptsitz aufzutreten.

Kein Zufall, denn die Sängerin, die meist mit geschlossenen Augen singt und deren Stimme so souverän über mehrere Oktaven springen kann, zählt nun zu den Großen des Fado. Folge einer Blitzkarriere, die die feinfühlige Frau so nicht erwartet hatte. Plötzlich ging alles wie von selbst und lang gehegte Wünsche erfüllten sich ganz von allein. Dazu zählt auch der Auftritt mit Brasiliens Superstar Milton Nascimento. Der wählte sie anlässlich einer Visite in Portugal unter vielen anderen Sängerinnen für einen gemeinsamen Auftritt aus und über die Ikone der Mùsica Popular Brasileira kam sie auch in Kontakt mit Chico Buarque. Den und die Bossa-Nova-Legene Vinicius de Moraes konnte Carminho als Komponisten für ihr zweites Album „Alma“ gewinnen. Das ist weniger traditionell angelegt als ihr Debüt, ein Streichquartett erweitert das Spektrum genauso wie das Klavier.

Doch Carminho geht es gar nicht darum, den Fado auszuloten, ihn zu modernisieren und zu fusionieren. „Ich bin nicht vermessen, ich interpretiere nur den Fado und zeige, was mir gefällt, ob Streicher oder brasilianische Musik“, erklärt die grazile Frau. Ihr Umgang mit Musik ist dabei schon Teil des Erfolges, denn Respekt für die Musik anderer und Einfühlungsvermögen zeichnen die Portugiesin aus. Das haben ihr die Eltern, selbst bekannte Fado-Musiker, mit auf den Weg gegeben.

Diese Demut hilft ihr dabei auch, traditionelle Fados neu zu interpretieren, Texte zu schreiben und die Essenz des Fados stehen zu lassen. Der ist „ein urbaner Aufschrei, der Leute, die sich abplacken, um zu überleben und keine Zeit haben, Tränen zu vergießen“.

Und diesen Schmerz, diese Melancholie kann Carminho einfangen, ausdrücken, herauspressen wie kaum eine andere. Für Carminho ganz natürlich, denn schließlich ist Fado ihre „erste Muttersprache“. Die hat sie schon im Bauch der Mutter gelernt, die bis kurz vor der Geburt regelmäßig auftrat. Davon kann man sich nun live überzeugen.

■ Hannover: Sa, 1. 12., 21 Uhr, Pavillon, Lister Meile 4; Bremen: So, 2. 12., 20 Uhr, Schlachthof, Findorffstraße 1; Wolfsburg: Di, 4. 12., 20 Uhr, Hallenbad – Kultur am Schachtweg, Schachtweg 31