LeserInnenbriefe
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Ein Sittenstrolch

betr.: „An der Seite Donald Trumps“, taz vom 21./22. 1. 17

Es widerfährt mir selten, mit Bettina Gaus uneins zu sein. Ja, Donald Trump hat sein Amt nicht durch einen Putsch an sich gerissen. Ja, er hat auch das US-Wahlsystem nicht erfunden. Dennoch weiß ich nicht recht, was Bettina Gaus meint, wenn sie die US-Demokraten „schlechte Verlierer“ nennt. Ich wünsche mir mehr solcher „schlechten Verlierer“, die Trumps und der Republikaner demokratische Legitimation anzweifeln, indem sie etwa auf eine systematische Verfälschung des Wählerwillens durch einen einseitig die Republikaner begünstigenden Zuschnitt der Wahlkreise in republikanisch beherrschten Staaten hinweisen (siehe Marcia Pallys Essay auf S. 11). Ist auch ein „schlechter Verlierer“, wer die Rolle der an Goebbels’Methoden erinnernden Lügenpropaganda in Trumps Wahlkampf betont? Selbstverständlich darf, wer solche Propaganda verabscheut, Trump nicht mit unbewiesenen Behauptungen über Moskauer Edel­hotel­bett­urinaden zusetzen wollen. Aber es wäre höchst legitim, Wählerinnen und Wählern aus dem „Bible Belt“ unter die Nase zu reiben, dass sie jemanden gewählt haben, der es nach den Maßstäben aller in den USA relevanten Konfessionen aufgrund erwiesener Tatsachen verdient, ein Sittenstrolch genannt zu werden.

Das Prädikat „schlechte Verlierer“ passt auf einen Teil der US-Demokraten in einem ganz anderen Sinne. Zur Niederlage der US-Demokraten hat beigetragen, wer, um Wallstreet-Interessen zu bedienen, innerhalb der demokratischen Führungsgremien alles getan hat, um einen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders zu verhindern. Jürgen Kasiske, Hamburg Dankbarkeit – wofür?

betr.: „Afrikaner waren gar keine“, taz vom 14./15. 1. 17

Zwei Wochen hat es gedauert, bis der Kölner Polizeipräsident eingesteht, dass seine Aussagen vom 2. Januar nicht korrekt waren. Zwei Wochen, in denen allein die Fragen nach Recht- und Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes in Köln während der Silvesternacht 2016 als „dummes Zeug“ (NRW-Grünen-Vorsitzender Stefan Engstfeld), als „unsäglich“ (Ministerpräsidentin Hannelore Kraft), „ehrabschneidend und perfide“ (Bezirksbürgermeister in Köln Andreas Hubke) vom Tisch gefegt wurden. Und der Tübinger OB Boris Palmer sagt im taz-Interview ( 7./8. 1. 2017), man könne „nicht auf einer Position beharren, die die ganze Republik gegen einen aufbringt“. Zwei Wochen, in denen mit dem Kürzel „Nafri“ junge Männer ihre Aussehens wegen als potenzielle Täter angesehen wurden und am Ende die Polizei zugibt, dass die von ihr als „nordafrikanische Intensivtäter“ Bezeichneten mehrheitlich nicht aus den Ländern Nordafrikas stammten und weder alkoholisiert noch aggressiv waren. Zwei Wochen, in denen politisch Verantwortliche vor allem eines fordern: Dankbarkeit.

Doch wofür soll ich dankbar sein? Dafür, dass sich der Polizeipräsident gegenüber den Medien und der Öffentlichkeit zum Kölner Polizeieinsatz äußert, scheinbar ohne korrekt informiert zu sein?

Dass seitens der Polizei Fragen in den Raum gestellt wurden, für die es keine Anhaltspunkte gab? So die Frage, warum so viele Nordafrikaner ausgerechnet nach Köln kamen, um Silvester feiern zu wollen? Soll ich dankbar sein dafür, dass junge Männer, allein weil sie fremd aussehen, eingekesselt und festgehalten wurden? Für mich ist es erschreckend, wie Fragen, die sich am Ende als berechtigt darstellen, zwei Wochen lang abgewehrt und diskreditiert wurden.

Wir haben seit Langem Probleme mit Jugendlichen und jungen Männern mit Migrationshintergrund, „aus zum Teil sehr problematischen, ethnisch segregierten Milieus“, wie es auch der Soziologe Nassehi ausdrückt. Probleme wie dieses müssen endlich ernst genommen und bearbeitet werden. Dazu aber braucht es Ehrlichkeit und den Willen zu Lösungen.

Gisela-Ingrid Weissinger, Dortmund

Vermeintlich sicheres Land

betr.: „Nicht vor und nicht zurück“, taz vom 17. 1. 17

Die erste Sammelabschiebung von Afghanen im Dezember vergangenen Jahres hat im Nachhinein gehörige Aufregung und Kontroversen ausgelöst. Die Medien haben verdientermaßen nicht locker gelassen, einige der Flüchtlinge nach der Ankunft in ihrer „Heimat“ begleitet und die Willkür der Abschiebungen deutlich zutage treten lassen. Trotzdem soll für den 24. Januar eine nächste Sammelabschiebung vorgesehen sein. Um sich nicht wieder nach erfolgter Tat aufregen zu müssen, schreibe ich schon heute als Reaktion auf den taz-Bericht, der erst noch erscheinen wird:

„Wenn Berlin einmal jeden Monat von Anschlägen erschüttert würde, wenn Bayern, fast ganz Baden-Württemberg und auch Teile Hessens sich in fester Hand räuberischer Banden befänden, die sich jederzeit an jedem beliebigen Ort Deutschlands marodierend ein kurzes Stelldichein geben könnten, aus heiterem Himmel sogar das ansonsten als sicher geltende Hannover vollständig von ihnen beherrscht würde und unter Hinzuziehung ausländischer Verstärkung mit Waffengewalt zurückerobert werden müsste, dann würde ich den Staat nicht verstehen, der mich zurückschickt in ein vermeintlich sicheres Deutschland, weil ja schließlich in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein sowie in der Lüneburger Heide um den Wilseder Berg herum und am Wattenmeer kurz hinterm Deich noch nie was passiert sei. – Nein! Wer in ein solches Land abschiebt, setzt ganz falsche Signale, und wer den ohnehin schon schwammigen Begriff ,sicheres Herkunftsland‘ dermaßen überdehnt, verwirkt das Recht, ihn überhaupt noch in den Mund zu nehmen.“

Torsten Steinberg, Porta Westfalica