Einmal im Rampenlicht stehen

Zum siebten Mal zeigen beim Filmfestival „Around the World in 14 Films“ renommierte Paten die von ihnen ausgewählten Nischenfilme

„Warum gehst du nicht nach China? Europa ist am Ende“

VON ANDREAS BUSCHE

Früher hatten Filmfestivals mal eine vermittelnde Funktion, als Bindeglied zwischen Publikum und Filmemacher – möglicherweise sogar einer politischen Idee oder einem ästhetischen Konzept, die sich in der Auswahl der Filme niederschlugen. Seit auch das internationale Festival-Netzwerk zunehmend nach ökonomischen Erwägungen aufgestellt ist, haben die großen Festivals diese Rolle zugunsten einer marktwirtschaftlichen Überbietungslogik eingebüßt. Heute sind die Spielpläne derart mit Programmsektionen und Sondervorführungen zugemüllt, dass man selbst als halbwegs informierter Besucher schnell den Überblick verliert. Die Lautstärke, mit der hier getrommelt wird, hat zumindest den schönen Nebeneffekt, dass auch Filme, die im Tagesbetrieb nur ein Nischendasein führen, einmal im Rampenlicht stehen dürfen.

Die Organisatoren des Filmfestivals „Around the World in 14 Films“, das ab heute zum siebten Mal im Kino Babylon stattfindet, nehmen die Vermittlerrolle eines solchen „Events“ noch ernst. So ernst, dass sie für jeden Film eine Patenschaft ausrufen. Das bedeutet nicht etwa, dass die Filme, die in den kommenden neun Tagen im Babylon und im Thalia Potsdam laufen, schwer vermittelbar sind. Aber sie erfordern eine besondere Aufmerksamkeit, auch da die Mehrzahl der Beiträge außerhalb des Biotops „Filmfestival“ kaum eine Überlebenschance hätten. „Around the World“ versteht sich also als Ort des Austauschs. Die Paten (unter ihnen Wim Wenders, Sandra Nettelbeck, Hanns Zischler, Nina Kronjäger und Daniel Brühl) übernehmen die Verantwortung für „ihren“ Film und fördern einen Dialog mit dem Publikum.

Wie groß die Konkurrenz inzwischen aber auch abseits der renommierten Festivals ist, zeigt die Tatsache, dass selbst eine Veranstaltung, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, den „übersehenen Film“ zu fördern, nicht ohne Stars auskommt. So startet das amerikanische Südstaaten/Endzeit-Märchen „Beasts of the Southern Wild“ noch dieses Jahr in den Kinos und auch der großartige chilenische Politthriller „No“ von Pablo Larraín hat bereits (zu Recht) einen deutschen Verleih gefunden. Die gänzlich konträren Filme der Arthouse-Größen Carlos Reygadas, der mit „Post Tenebras Lux“ vertreten ist, und Cristian Mungiu, dessen formal strenges Klosterdrama „Beyond the Hill“ seine Berlin-Premiere erlebt, besetzen ohnehin seit Jahren ihre kleine Nische in der immer noch konservativen Programmkinolandschaft. Dort scheint dagegen kein Platz mehr für Veteranen wie William Friedkin zu sein. Sein Südstaaten-Thriller „Killer Joe“ ist schwer verdauliche Kost, auch wenn ein glänzend aufgelegter Matthew McConaughey als camper Psycho-Cowboy nahtlos an seine Rolle in „Magic Mike“ anknüpft.

Die Festival-Entdeckungen kommen allerdings aus Brasilien, China und dem Senegal. „Neighbouring Sounds“ des brasilianischen Filmkritikers und Regiedebütanten Kleber Mendonça Filho ist ein gelungener Beitrag zum weidlich ausgereizten Suburbia-Topos. Sein lakonisches Alltagsporträt spielt in einer Gated Community in Recife, die von allerhand kuriosen Gestalten bewohnt wird. Als ein privater Sicherheitsdienst dem Patriarchen der Siedlung seine Hilfe anbietet – die einzigen Störenfriede sind ein kläffender Nachbarshund und ein kleiner Dieb, der sich an Autoradios vergreift –, wird das Misstrauen der Bewohner erst geweckt. Mendonça Filho kontrastiert mit hintergründigem Humor die moderne Aufgeräumtheit der Wohlstandsfestung mit der sozialen Unruhe seiner Bewohner. Eine schöne Mentalitätsstudie der neuen Wirtschaftsmacht Brasilien, mit verstörendem Sounddesign.

Die Kehrseite des wirtschaftlichen Aufschwungs zeigt der chinesische Film „People Mountain People Sea“ von Cai Shangjun, der seinen Protagonisten auf der Suche nach dem Mörder des Bruders zunächst in die brodelnde Megalopolis und dann in eine entlegene Bergbau-Region verschlägt. So fremd und feindselig wie die Natur- und Stadtbilder Shangjuns sind, so unzugänglich bleibt bis zum Schuss auch seine Hauptfigur. Eine Art Dantes Inferno am Rande der größten Industrienation der Welt.

„La Pirogue“ des senegalesischen Regisseurs Mousse Touré zeigt die Kräfteverhältnisse der globalen Güterverteilung einmal aus afrikanischer Perspektive. Dreißig Männer machen sich über das Meer auf den gefährlichen Weg nach Europa. Europa ist von Afrika aus betrachtet immer noch der gelobte Kontinent, doch es ist die Frau der Hauptfigur, die die wirtschaftlichen Realitäten längst erkannt hat. „Warum gehst du nicht nach China? Europa ist am Ende.“ Touré hat seinen Film den Männern und Frauen gewidmet, die beim Versuch am westlichen Wohlstand teilzuhaben, zwischen Europa und Afrika ums Leben kamen.

■ Around the World in 14 Films. Bis 8. Dezember. Programm: www.berlinbabylon14.net