Das Phantom aus Flensburg

Handball-WM
Die anstehende Nachnominierungvon Holger Glandorf ist ein offenes Geheimnis. Gegen Kroatien soller bereits mitwirken

Jederzeit zum Absprung bereit: Holger Glandorf (l.) rechnet fest mit einem WM-Comeback in der deutschen Nationalmannschaft Foto: dpa

ROUEN taz | Holger Glandorf saß mit ein paar Kumpels zusammen und war einen Moment lang gedanklich unachtsam. In einer Talkrunde, die über die Face­book-Seite des HSV Hamburg gezeigt wurde, mit Stefan Schröder, einem früheren Kollegen aus der Nationalmannschaft, und Martin Schwalb, dem langjährigen Trainer des HSV Hamburg, hatte der Weltmeister von 2007 eingeräumt, dass er davon ausgehe, bei der gerade laufenden Handball-Weltmeisterschaft noch zum Einsatz zu kommen.

Die Verantwortlichen der deutschen Handballer hatten mit dem 33-Jährigen zuvor vereinbart, sich öffentlich nicht zu der Entscheidung generell und dem Zeitpunkt seines Starts in das Turnier zu äußern. In der Plauderei mit den Kumpels hatte der Spieler dann gepatzt. Der Überraschungseffekt blieb aber aus, denn es ist klar, dass der Linkshänder von der SG Flensburg-Handewitt der „Joker“ für das Team werden soll, das in Frankreich den Titel gewinnen will.

Der Name Holger Glandorf schwebt im Teamhotel der deutschen Mannschaft in Rouen wie ein „Phantom“ über den Köpfen der Spieler. Wenngleich das Team offiziell nicht weiß, wann der Flensburger nachreist, ist es ein offenes Geheimnis, dass es passieren wird. Julius Kühn rechnet wie seine Teamkollegen mit der Verstärkung durch den Weltklasse-Mann aus Flensburg. „Es wäre ein bisschen schwierig, wenn wir mit einem Linkshänder im Rückraum das ganze Turnier spielen würden“, sagt der Rückraumspieler aus Gummersbach erfrischend ehrlich.

Nach den Verletzungen von dem Berliner Fabian Wiede und dem Kieler Steffen Weinhold nominierte Bundestrainer Dagur Sigurdsson mit Kai Häfner von der TSV Hannover-Burgdorf nur einen Linkshänder für den Rückraum, ließ in seinem maximal 16-köpfigen Kader aber einen Platz frei, um Glandorf jederzeit nachholen zu können. Glandorf, der seine Karriere im Dress des Deutschen Handball-Bundes (DHB) vor zwei Jahren beendet hatte, erklärte sich bereit, als Notnagel zur Verfügung zu stehen. Das Entgegenkommen von Sigurdsson besteht darin, dass Glandorf nicht das komplette Turnier absolvieren muss.

Der Isländer weiß, dass er ihn nicht von Beginn an benötigt. Nach dem Auftaktgegner Ungarn sind die nachfolgenden Gruppengegner Chile, wie der lockere 35:14-Erfolg deutlich gemacht hat, Saudi-Arabien und Weißrussland höchstens internationales Mittelmaß. Die Partien am heutigen Dienstag, 17.45 Uhr, gegen die Saudis und einen Tag später gegen die Weißrussen nutzt Sigurdsson ohnehin dazu, munter zu rotieren. Vor dem Gruppenendspiel gegen Kroatien am Freitag – so die interne Planung – wird das „Phantom“ in Fleisch und Blut im Teamhotel eintreffen. Erst gegen die Kroaten wird es darum gehen, sich die bestmögliche Ausgangslage vor den K.-o.-Runden zu schaffen.

Das Signal, im Turnierverlauf auf Glandorf zu setzen, sendete der Bundestrainer aus, als er mit Jens Schöngarth einen weiteren Linkshänder für den rechten Rückraum wenige Tage vor dem WM-Auftakt aus seinem Kader strich. Diese Tatsache, verbunden mit dem Umstand, nur mit 15 anstatt 16 Akteuren nach Frankreich zu fahren, sorgte dafür, dass auch teamintern nicht mehr darüber spekuliert wurde, ob Glandorf die WM spielt, sondern nur noch, ab wann das sein wird.

Jeder einzelne Spieler weiß, dass die Chancen auf den großen Wurf in Frankreich steigen, wenn Glandorf das Team verstärkt. In den zurückliegenden Jahren war er schließlich der beste deutsche Spieler auf seiner Position und verkörpert absolute Weltklasse. Für diese Einschätzung bedurfte es nicht seiner Vorstellung bei seinem Testspieleinsatz gegen Österreich unmittelbar vor dem WM-Turnier. Michael Wilkening