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Kino Ola Balogun war ein Pionier des Films in Nigeria. Einige seiner Filme gingen verloren. Das Arsenal stellt den ungewöhnlichen Erzähler vor

In Interviews erzählt Dr. Ola Balogun gerne von sich, von seinem Leben, von Krisen, von Resignation, von seiner Wichtigkeit für das nigerianische Kino. Ola Balogun ist ein wagemutiger Geschichtenerzähler. Er stellt historische und kulturelle Kontinuitäten in Frage. Seine Geschichten sind Gegengeschichten zum Imperialismus, sie haben eine Identität im Tonfall. Und er hat eindrucksvolle Bilder geschaffen, die sie begleiten.

Sieht man sich seine Filme an und anschließend ein paar jüngere Beispiele dessen, was heute in Nigeria entsteht – oftmals hastig und digital gedreht, für ein paar tausend Dollar, dann wird klar: Der Mann wirkt aufgeblasen, ist aber Pionier. Als Kind einer Journalistin und eines Anwalts wächst er mit Bildungsvorsprung und Handlungsspielraum auf. Er studiert, erst in Lagos und Dakar, bald in Europa. Mitte der Siebziger kommt er zurück. Lange bevor Nigeria unter dem Schlagwort Nollywood zu einer der produktivsten Filmländer der Welt wird, dreht Balogun mit seinen Erfahrungen aus der französischen Kunstszene und Filmschule wegweisende Filme auf 35mm. Der erste ist der experimentellste.

Tradition übersetzen

Balogun wird eine Zeit lang Diplomat sein, immer wieder auch Journalist und Autor, zuletzt vor allem Musiker. Sein Erfolg basiert auf einer klaren Haltung: Er interpretiert nigerianische Ideen, Kulissen, Traditionen, Gesichter und Kunstformen für das Kino, übersetzt zunächst traditionelles Yoruba Theaterschauspiel für die Leinwand. Sein Film „Ajani-Ogun“ (1976) ist der erste Film in dieser am weitesten verbreiteten Sprache des Landes und lässt ihn zu einem Star werden. Er organisiert bald alles selbst und zeigt neue Vertriebs- und Produktionsstrategien für eine ganze Industrie auf.

Dann dreht er als erster afrikanischer Filmemacher einen Spielfilm in Brasilien. Die Produktion scheint zunächst zu scheitern, ruiniert ihn finanziell. Doch er gibt nicht auf. „A Deusa Negra“ (1978) verhandelt die Suche eines jungen Afrikaners nach den Wurzeln seiner Familie. Seine Ahnen wurden versklavt, er sucht in der Ferne nach seiner Identität, nach der Identität seiner Kultur.

Später folgt der Revolutionsfilm „Cry Freedom“ (1981). Es geht um die Enteignung afrikanischer Ländereien, um Vertriebene und Diskriminierte, um Gewalt als alte und neue kolonialistische Praxis, um Freiheitskampf als Mittel der Emanzipation. Das Filmteam wird in den Dschungel bugsiert, mit Waffen aus Holz. Das ist suspekt, der Dreh steht bei der nervösen örtlichen Politik unter Verdacht eines Putschversuchs. Später folgten Dokumentarfilme, kunstfertige, bilderreiche Einblicke in afrikanische Kultur.

Balogun wirkt heute rastlos, produktiv, aber auch zynisch. Der Regiearbeit hat er den Rücken zugekehrt und gibt sich entfremdet von der jungen Generation des nigerianischen Films. Während seine Arbeiten einst zu den international sichtbarsten des afrikanischen Kinos zählten, sind heute nur wenige seiner rund 20 Filme erhalten. Diese sind vom im Arsenal in einer Reihe zu sehen, die auf das Filmkollektiv Frankfurt zurückgeht. 2015 zeigte die Gruppe Arbeiten Baloguns, setzte sich für deren Einlagerung in der Cinémathèque francaise ein und veröffentlichte ein Buch mit Essays und Berichten von WeggefährtInnen des Filmemachers. Baloguns Gegenerzählungen, die sprechen für sich. Dennis Vetter

13. – 19. 1. im Arsenal