Die Wiege der Sportmacht DDR

Das Trainingszentrum Kienbaum wird 50. Zum Jubiläum kommen die Medaillensammler der sozialistischen der Sportmacht, staunen über das seit 1990 stark geliftete Gelände und lästern ein wenig über die verwöhnten Wohlstandskinder von heute

„Die fahren in ein Höhentrainingslager, das ist doch für die wie Urlaub“„Was habt ihr denn damals gekuckt? Westen wahrscheinlich“

von ANDREAS RÜTTENAUER

Ein kleiner Mann mit unzähligen Lachfalten im Gesicht läuft mit einer kleinen Digitalkamera über den Platz. Zwei Frauen unterhalten sich über ihre Urlaubspläne. Eine Familie parkt ihr Auto vor einem Pavillon und lädt das Gepäck aus. Telefonnummern werden ausgetauscht. Man erinnert sich an die gute alte Zeit und nimmt sich vor, in Kontakt zu bleiben. Das Bundesleistungszentrum Kienbaum hatte am Samstag zur Jubiläumsfeier geladen. Etwa 80 Olympiasieger waren zum Familientreffen des Leistungssports erschienen. Seit 50 Jahren wird südöstlich von Berlin für Olympische Spiele und Weltmeisterschaften trainiert. Kienbaum ist bis heute eines der wichtigsten Trainingszentren für Spitzensportler. Früher war es ein sagenumwobener Ort, die Geburtsstätte der sportlichen Supermacht DDR.

Der kleine Mann mit der Digitalkamera schüttelt immer wieder den Kopf. Er ist voller Bewunderung für das, was seit der Wende in Kienbaum entstanden ist. 41 Millionen Euro sind seit 1990 in das Trainingsgelände geflossen. Das sieht man: lichtdurchflutete Trainingshallen, riesige Krafträume, ein Atrium mit Springbrunnen, von dem die Türen zu freundlich wirkenden Massageräumen abgehen. So hat es in Kienbaum nicht ausgesehen, als Wolfgang Behrendt das erste Mal hier trainiert hat. Der freundliche Mann, der den Tag mit seiner Knipse dokumentiert, steht für den Beginn der DDR als Medaillenschmiede. 1956 in Melbourne holte er Gold im Boxen. Er war der erste Olympiasieger der späteren Sportgroßmacht.

Auch Bärbel Wöckel ist angetan von den Veränderungen in Kienbaum. Die Sprinterin, die 1976 und 1980 insgesamt vier olympische Goldmedaillen gewonnen hat, erinnert sich an die Zeit unmittelbar nach der Wende, als über die Zukunft von Kienbaum diskutiert wurde. Die Stimmung war schlecht seinerzeit, und beinahe wäre das Aus gekommen. Stolz zeigten die Ostsportler ihren neuen Landsleuten ihre vertraute Anlage. Die Westler waren jedoch wenig angetan von den marode wirkenden Gebäuden. „Die waren damals schon so verwöhnt, das konnten wir uns gar nicht vorstellen“, erinnert sich die Meistersprinterin. Manfred von Richthofen, der Präsident des Deutschen Sportbundes, setzte sich vehement für den Erhalt des Leistungszentrums ein. Seinem Engagement ist es zu verdanken, dass Kienbaum auch in der erweiterten Bundesrepublik das wohl wichtigste Leistungszentrum für den Spitzensport ist.

Doch die Gegenwart spielt kaum eine Rolle an diesem Samstagnachmittag. Es geht um früher. Andre Niklaus, als Vierter des diesjährigen WM-Zehnkampfs Hoffnungsträger für die kriselnde deutsche Leichtathletik, wirkt wie ein Fremdkörper unter den Topathleten von einst. Dennoch wird er ständig angesprochen. Er solle doch seine Mutter schön grüßen. Die war früher eine Weltklassefechterin, gehört also irgendwie auch dazu, zur DDR-Leistungssportfamilie.

Sohn Andre steht für die Gegenwart. Er ist, sooft es möglich ist, in Kienbaum. Er gehört aber auch zu den Sportlern, über die die Medaillensammler der DDR oft nur den Kopf schütteln, zu den verwöhnten Wohlstandskindern, die trotz optimaler Trainingsbedingungen am Ende ohne Medaille von den großen Wettkämpfern zurückkehren. „Wenn die wollen, dann fahren die in ein Höhentrainingslager, das ist doch für die wie Urlaub“, meint Lutz Heßlich, 1980 und 1988 Doppelolympiasieger im Radsprint.

Sein Höhentrainingslager war die Unterdruckkammer von Kienbaum. Die steht noch immer. Um die Bedingungen eines Höhentrainings zu simulieren, wurden die Athleten in eine Unterdruckkammer geschleust, wo sie bei geringerem Sauerstoffgehalt der Luft trainiert haben. Die alten Diamantrenner, auf denen Heßlich damals trainiert hat, stehen unverändert in der Druckluftkammer. Der Cottbusser Exathlet schließt den technischen Leiter der Anlage in die Arme: „Du hast uns immer geschleust damals.“ Dann steigt er auf eines der Räder und strampelt los. „Hier standen noch Fernseher“, erzählt er. „Was habt ihr denn gekuckt? Westen wahrscheinlich“, will einer wissen. Hier schweigt der Sportostalgiker, der das ganze Wochenende auf dem Gelände bleiben wollte. „Wann kommt man schon einmal wieder nach Kienbaum?“

Derweil unterhalten sich draußen die zwei Frauen immer noch. Diesmal über die Kinder. Die eine ist Birgit Fischer, mit acht Goldmedaillen im Kanurennsport Deutschlands erfolgreichste Olympionikin. Die andere ist Carola Drechsler. Die kennt kaum jemand. Aber auch sie ist Kanuolympiasiegerin.