Kabinettstückchen um eine leere Mitte: Zu allen Partys eingeladen
Berlin auf Blättern VONJörg Sundermeier
Er kannte sie alle: die Dietrich, die Garbo, den Tauber, den Reinhardt, für Alfred Kerr war er sogar der Chef – und einer der wenigen Duzfreunde. Alfred Hildenbrandt, der seinen Vornamen zum kecken „Fred“ kürzte, war einer der ihren.
1892 in Stuttgart in eher kleinen Verhältnisse geboren, einige Jahre sogar ins Waisenhaus gesteckt, im Weltkrieg verwundet, kam er nach Frankfurt am Main, wo er für die Frankfurter Nachrichten arbeitete, gleich als Feuilletonredakteur. Der von Deutschland losgebrochene Erste Weltkrieg hatte viele Tote auf allen Seiten der Front hervorgebracht, Arbeitsplätze gab es nun zuhauf. Hildenbrandt wechselte zu den Braunschweiger Neuesten Nachrichten, dann zog es ihn weiter nach Berlin, wo er sich, knapp dreißig Jahre alt, als Redakteur im Berliner Tageblatt wiederfand. Das gab unter dem Chefredakteur Theodor Wolff als Flaggschiff des Mosse-Konzerns in Berlin den Ton an. Durch Glück und mit Dreistigkeit schaffte es Hildenbrandt bald sogar, Feuilletonchef des Blattes zu werden – und als solcher eine mächtige Figur im Kulturgeschehen der Hauptstadt.
Fred Hildenbrandt wurde nun auf alle Partys geladen, fand sich in Ateliers wieder und in Künstlergarderoben. Seine Passion war der Tanz, doch auch die Literaturszene prägte er, druckte oft Gedichte von Else Lasker-Schüler. Den jungen konservativen Revolutionär Ernst Jünger, dem er als leitender Redakteur einer liberalen Zeitung schrieb, dass er „ein Angehöriger des ‚feindlichen Lagers’“ sei, fragte er dennoch, ob er ihn als „schriftstellerischen Kameraden“ ansprechen dürfe. Den Dichter Klabund rettete er aus einer fragwürdigen Situation.
Den Jahren 1922 bis 1932 beim Tageblatt sind seine Erinnerungen gewidmet, die vor 70 Jahren erstmals erschienen und nun in leicht gekürzter Form im Berliner Transit Verlag wiederveröffentlicht worden sind. Posthum wurden diese herausgegeben von zwei anonymen „Freunden“, deren Namen der heutige Nachwortautor, Thomas Zeipelt, nicht ermitteln konnte. Da aber einige Ausschnitte bereits zu Lebzeiten Hildenbrandts, der 1963 starb, veröffentlicht worden sind, darf man davon ausgehen, dass eine Veröffentlichung durchaus im Sinne des Verfassers war.
Dass es Kabinettstückchen sind, ist das Problem dieses schön gemachten Buches. Zwar hat Hildenbrandt wirklich alle gekannt, hat nach eigener Angabe zu Henny Portens jüdischem Ehemann gestanden, als es keiner mehr tat, hat ein Buch über die großartige Valeska Gert veröffentlicht und den besoffenen Heinrich George nach Hause eskortiert, doch irgendwie bleiben all die Stückchen blass und bieder. Berlin war wild, Hildenbrandt war immer mittendrin, hier raucht er mit Marlene eine Zigarette, dort tanzte er mit Josephine Baker. Doch kreisen die Stars nur um Hildenbrandt, er ist das leere Zentrum der Erzählung, jemand, der nichts preisgibt und folglich nichts sagt. Der Spiegel konstatierte 1966: „Dieser Schreibschick, zwischen Kessheit und Ergriffenheit, ist heute aus der Mode.“
Und zudem: Hildenbrandts Eitelkeit nervt ungemein. So erstaunt es nicht mehr, wenn im Nachwort zu lesen ist, dass sich dieser liberale Geist und Freund vieler Intellektueller, der später vor allem für den Film arbeitete, den Nazis andiente. Einerseits will er auch in der Zeit Freundschaften mit Verfolgten und Erniedrigten gepflegt haben, andererseits findet er in seinen Erinnerungen kaum Worte des Bedauerns dafür, dass so viele von ihnen ermordet oder ins Exil getrieben wurden.
Fred Hildenbrandt: „... ich soll dich grüßen von Berlin. Erinnerungen 1922 bis 1932“. Transit Verlag, Berlin 2016, 192 Seiten, 19,80 €
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