Leere über dem „Betze“

Der 1. FC Kaiserslautern spielt gegen den Hamburger SV wie ein Oberligist, verliert 0:3 und muss sich Sorgen machen, auseinander zu fallen. Den HSV stört das wenig. Er bleibt das Team der Stunde

AUS KAISERSLAUTERN TOBIAS SCHÄCHTER

Für den längst in den Ruhestand versetzten Reporter, der seit Fritz Walters Zeiten kaum ein Heimspiel des 1. FC Kaiserslautern verpasst hat, lag in jener Szene aus der 66. Minute der eigentliche Abgrund des Abends. „Heute war das erste Mal“, sagte der Mann betrübt, „dass ein vom Platz gestellter Spieler des FCK von den eigenen Fans im eigenen Stadion ausgepfiffen wurde.“ Dümmlich hatte der bereits verwarnte FCK-Verteidiger Stefan Blank den überragenden Spielmacher des Hamburger SV, Rafael van der Vaart, an der Mittellinie umgerammt und von Schiedsrichter Markus Schmidt dafür die gelb-rote Karte gesehen. Es war ein weiter Weg in die Kabine für Blank. Die Westkurve schrie sich den Zorn aus dem Leib, von der Südtribüne erhoben sich die aufgebrachten Fans und überschütteten Blank mit Schmähungen.

Der HSV führte da bereits mit 2:0 und die Partie hatte den Charakter eines Pokalspiels, in dem ein Bundesligist auf einen überforderten Oberligisten trifft, der beim Versuch der Schadensbegrenzung zuvorderst vom Mitleid des überlegenen Gegners abhängig ist. Selten jedenfalls hat man in der Bundesliga ein so einseitiges Spiel gesehen. Am Ende hieß es gar 3:0 für die Hamburger. Viele Anhänger des Pfälzer Traditionsvereins waren schon vor dem Schlusspfiff nach Hause gegangen. Die bis zum Ende geblieben waren, hatten keine Kraft mehr, sie pfiffen nicht und sie schimpften nicht. Über dem Betzenberg lag eine Leere.

Es war die dritte Demütigung hintereinander in einem Heimspiel: 1:5 gegen Bremen, 0:2 gegen Mainz und nun 0:3 gegen diesen von der puren Lust am Spiel angetriebenen HSV. Die Hoffnung, dass unter dem neuen Trainer Michael Henke endlich ein Aufbruch in bessere Zeiten gelingt, haben die meisten längst wieder begraben. In den letzten fünf sieglosen Spielen erzielte der FCK nur ein Tor, hat mit 18 Gegentreffern in acht Spielen die christkindlichste Abwehr der Liga und nur einen Punkt mehr auf dem Konto (7) als Bielefeld auf dem ersten Abstiegsplatz.

Es klang also ziemlich grotesk, als Michael Henke nach dieser Vorführung behauptete, er sei überzeugt, dass seine Mannschaft auch gegen Bayern eine Chance habe, zu gewinnen. Es war nicht die einzige Meinung, die der 43-Jährige in der Nachbetrachtung exklusiv vertrat. Selbst zum Zeitpunkt von Blanks Platzverweis, als längst jeder FCK-Fan im Stadion nur noch von der Angst um ein Debakel gepeinigt war, will Henke noch an einen Umschwung geglaubt haben. Den Vorwurf, er habe mit Riedl, Reuter, Engelhardt und Bellinghausen eine zu defensive Mittelfeldreihe aufgeboten, ließ Henke nicht gelten. Spielmacher Ervin Skela kam zwar in der 46. Minute, aber der erste Torschuss gelang trotzdem erst in der 83. Minute. „Wir wollten mit hoher Laufbereitschaft und Kampfkraft dem HSV die Lust am Fußball nehmen und dann schnell in die Spitze spielen“, verriet Henke die Gedanken hinter seiner Anfangsformation. Am Ende gestand er unbestritten: „Wir waren chancenlos.“

Henke begegnete der Krise bislang mit harten personellen Entscheidungen. Lembi, Mettomo, Blank oder Skela fanden sich schneller als erwartet auf der Bank wieder. Zwar stellt sich Henke hinter das große Ganze („Ich bin überzeugt, dass wir besser sind als das, was wir bisher gezeigt haben“), prangert aber gleichzeitig einzelne Spieler für ihre Fehlleistungen auch öffentlich an. Wie ernst der 43-Jährige die Lage tatsächlich einschätzt, verriet dieser alarmierende Satz: „Wir dürfen nicht auseinander fallen.“ Eine Gefahr, die auch Marco Engelhardt sieht. „Wir haben in den letzten Wochen den Respekt voreinander verloren“, glaubt der Kapitän. Das Bild, das Engelhardt am Sonntag zeichnete, ist das einer Mannschaft ohne Teamgeist, in der jeder nur auf der „Suche nach Alibis für sich selbst“ ist.

Welch ein Gegensatz war da dieser wunderbare HSV, der unzweifelhaft die Mannschaft des Augenblicks ist. Seit 19 Pflichtspielen sind die Hamburger nun ungeschlagen. „Wir haben einfach Spaß und genießen die Euphorie“, sagt Sergej Barbarez, der in der 50. Minute nach einem Steilpass von van der Vaart das 2:0 erzielte. Der niederländische Nationalspieler erzielte seine Saisontore fünf und sechs und ist nach wenigen Wochen einer der Stars in der Bundesliga. Dass HSV-Coach Thomas Doll auch am Sonntag seiner Strategie des Understatements treu blieb, gehört beim HSV schon dazu. „Wir alle wissen, dass dies nur eine Momentaufnahme ist“, sagte der 39-Jährige.