Lieblingsplatten
: Klischeeswiderlegt

Hamburger Soundtrack

von Nils Schuhmacher

Vergessen wir zum Jahresanfang, was in der Stadt konzerttechnisch so läuft (nicht viel) und fragen uns in Zeiten des Politikerverdrusses lieber, wie es um die Volksvertreter/innen musikalisch bestellt ist. Es wird ihnen ja einiges nachgesagt: etwa, dass sie vor allem damit beschäftigt sind, ihren Machtbereich abzustecken, während die kleinen Freuden auf der Strecke bleiben. Der Rolling Stone hat Ende 2015 Bundestagsabgeordnete nach ihrer Lieblingsplatte gefragt. Und das Ergebnis widerlegt dieses Klischee in großen Teilen.

Es bestätigt dafür andere, hält aber auch Überraschungen parat. Zunächst einmal nicht erstaunen kann, dass eine relevante Zahl der Antworten auf Grönemeyer, die Stones, die Beatles sowie Bruce Springsteen entfällt. Man bewegt sich also im Volk wie der Fisch im Wasser. Erwartbar auch, dass Claudia Roth die von ihr einst gemanagten Ton Steine Scherben gut findet, genau genommen das hauptsächlich auf der Grundlage von Tarot-Karten entstandene Album „IV“. Und der CDU-Generalsekretär Peter Tauber wäre nicht der Politik-Punk, der er nun mal ist, hörte er nicht „situationsbedingt“ „Madsen, Sportfreunde Stiller, Kettcar, Revolverheld oder Jupiter Jones“ und „auf jeden Fall noch die Ramones, Guns N’ Roses usw.“

Die Hamburger Bundestagsabgeordneten müssen angesichts geballter Aussageverweigerung auf den ersten Blick als Enttäuschung verbucht werden. Man muss schon auf ihre persönlichen Webseiten gehen, um auf „Bach, Händel, Joe Cocker, Bryan Adams“ (Dirk Fischer, CDU) oder Apfelkuchenrezepte (Johannes Kahrs, SPD) zu stoßen. Dann aber kommt mit U2, Keith Jarrett, Richard Thompson und dem Gotan Project alles wieder in eine, von stilistischer Bandbreite geprägte, Ordnung.

Und wo bleibt der Einfluss des Hamburger guten Gewissens? Er ist präsent! Auf der im weitesten Sinne linken Seite des politischen Geschehens ist er sogar stilbildend. Während die CDU mit der Nennung von „Boy“ über die bereits erwähnten Kettcar, Revolverheld „usw.“ nicht hinauskommt, wird hier mit Jan Delay (SPD), Jens Friebe (Die Linke), Tocotronic (SPD) und den Sternen (Die Linke) aufgetrumpft. Die Bundestagswahl kann kommen.