Nazi-„Trauer“ bleibt verboten

DEMONSTRATIONSRECHT Bundesverfassungsgericht billigt Verbote von Gedenkmärschen für ehemaligen Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß. Sonderrecht gegen Nazi-Meinung zulässig

Das Gericht erleichterte Eingriffe in die Meinungsfreiheit von Nazis

AUS FREIBURG CHRISTIAN RATH

Mit einem aufsehenerregenden Urteil ging jetzt der jahrelange Streit über die Heß-Gedenkmärsche in Wunsiedel zu Ende. Das Bundesverfassungsgericht akzeptierte das Verbot der jährlich neu angemeldeten Neonazi-Demonstrationen. Dabei akzeptierte das Gericht auch eine 2005 eingeführte Strafvorschrift gegen das Billigen der NS-Gewalt- und Willkürherrschaft. Ein solches Sonderrecht gegen bestimmte Meinungen sei wegen der Schrecken des Faschismus ausnahmsweise zulässig.

Rudolf Heß wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Kriegsverbrecher verurteilt und starb 1987 in einem Gefängnis der Alliierten in Berlin-Spandau. Anschließend wurde er im Familiengrab in der oberfränkischen Kleinstadt Wunsiedel beigesetzt. Seit 1988 versucht die rechte Szene jährlich im August, einen Gedenkmarsch in Wunsiedel zu veranstalten. Als es 1990 zu gewalttätigen Zwischenfällen mit Skinheads kam, wurden die Versammlungen für zehn Jahre verboten. Erst im Jahr 2001 erlaubte das Bundesverfassungsgericht wieder den Gedenkmarsch. Die Demonstration könne nur verboten werden, so die Richter damals, wenn es konkrete Anzeichen für Ausschreitungen gebe.

Doch 2005 verschärfte der Bundestag das Demonstrations- und Strafrecht. Zum einen wurden Demonstrationsverbote an Gedenkstätten für NS-Opfer erleichtert. Zum anderen wurde der Volksverhetzungsparagraf verschärft. Als Volksverhetzer kann künftig auch bestraft werden, wer die NS-Herrschaft „billigt, verherrlicht oder rechtfertigt“. Diese Änderung sollte gezielt auch Verbote von Heß-Gedenkmärschen ermöglichen.

Seitdem stützte das Landratsamt Wunsiedel seine Demo-Verbote gegen den Hess-Gedenkmarsch auf die neue Strafvorschrift. Von den Gerichten wurde dies akzeptiert. So argumentierte das Bundesverwaltungsgericht 2008 mit dem Schutz der Menschenwürde von NS-Opfern. Wer Heß als Märtyrer bezeichne, stelle ihn als „integre Figur mit Vorbildfunktion“ dar. Seine Glorifizierung beinhalte unausgesprochen eine Billigung des NS-Regimes mit allen Verbrechen.

Gegen diese Entscheidung erhob der Anmelder der Demonstration, der inzwischen verstorbene Hamburger Nazi-Anwalt und NPD-Vize Jürgen Rieger, eine Verfassungsbeschwerde. Heß solle wegen seiner umstrittenen Inhaftierung und seiner Friedensverhandlungen mit England geehrt werden, so Rieger, ohne Billigung von NS-Verbrechen.

Normalerweise geht das Bundesverfassungsgericht bei mehrdeutigen Aussagen im Interesse der Meinungsfreiheit von einer möglichst legalen Bedeutung der Äußerung aus. Hier akzeptierte es aber ohne weiteres die gewagte Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts.

Im Mittelpunkt des Karlsruher Beschlusses stand vielmehr die Frage, ob das neue Strafgesetz gegen das Grundgesetz verstößt. Dabei gingen die Verfassungsrichter davon aus, dass auch NS-freundliche Äußerungen grundsätzlich vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt sind. Allerdings erleichterte das Gericht Eingriffe in die Meinungsfreiheit von Nazis. Laut Grundgesetz dürfen zwar nicht einzelne Meinungen verboten werden, wenn es gegen Nazis geht, sei wegen der Schrecken der NS-Zeit aber ausnahmsweise kein „allgemeines Gesetz“ erforderlich. Bisher hatte das Verfassungsgericht ähnliche Argumentationen abgelehnt.