LeserInnenbriefe
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Schminke und Masken

betr.: „Gesicht zeigen, Mensch sein“, taz vom 10. 12. 16

Die Idee der Autorin, dass Authentizität und die Natürlichkeit des ungeschminkten Gesichts die Individualität eines Menschen unterstreichen, unterliegt womöglich einer biologistischen Auffassung von Gleichheit und Normalität, in der das Individuelle und Besondere keinen Raum haben dürfen. Die Kunst der Veränderung, der persönlichen Wandlung oder der Provokation durch Überzeichnung als kultureller Ausdruck von Individualität wird von der Autorin ausgeblendet. Mit alledem hat das Tragen der Burka nichts zu tun.

Die Burka ist schlicht der Ausdruck der Herrschaft des Mannes über die Frau und das Verneinen ihrer Individualität, während das Schminken eines Gesichts der (nicht immer gelungene) Versuch des Gegenteils, nämlich die Unterstreichung von Individualität, will. Waltraud Schwab liegt sicher richtig in ihrer indirekten Feststellung, dass die westliche Welt ihren Zielen von Individualität und Freiheit nicht sehr nahe kommt, dass sie sich vielleicht sogar mehr und mehr noch davon entfernt. Die Idee aber, dass die Burka diese neoliberalen Entmenschlichungen und Nivellierungen der Andersartigkeiten karikiert, ist Unsinn und zeugt davon, dass die Autorin zwar verstanden hat, dass in der Tat Anlass zur kritischen Reflexion über den Zustand unserer westlichen Kultur geboten und der Grad des Erreichens unserer Ziele nach Freiheit und Individualität zu hinterfragen ist. Es ist jedoch unzulässig, die Burka, welche die Inkarnation der Gesichtslosigkeit ist, zu einem Instrument der Gesellschaftskritik an menschenfeindlichen, neoliberalen Tendenzen zu überhöhen.

Schminke und Masken können dem Erleben und Erleiden des Menschen in seiner einzigartigen und endlichen Lebenszeit einen bleibenden Ausdruck verleihen, über sein einsames Leben durch die Überzeichnung hinausweisen und eben dadurch dem anderen in seiner Einsamkeit und Unerkanntheit Trost spenden. Der eine kann sich mit seinem Leiden in der Darstellung der Hoffnung auf individuelles Leben des anderen wiedererkennen und ist im Moment dieser Erkenntnis aufgehoben. Genau dafür brauchen wir das Gesicht des anderen. Es erinnert uns an unsere eigene Individualität und Sterblichkeit und kann uns in dieser Erinnerung dabei helfen, uns frei zu machen von den Fesseln und Leiden an der gleichschaltenden Wirklichkeit und deren Zurichtungsstrategien. DOROTHEE SCHMITZ, Köln

Das Machtgefälle negiert

betr.: „Wer ist hier voreingenommen?“, taz vom 14. 12. 16

Ein Tiefstand der Reflexion. Weil solange in früheren deutschen Gerichtssälen Kreuze hingen, wird die Präsenz eines Sikhs in religiöser Tracht als amtierender und qualifizierter Richter als toleranter Normalfall eingefordert. Vorauseilend, bedauert der Autor „dass gläubige Juristen, die nicht bereit sind, sich von Kreuz, Kippa oder Kopftuch zu trennen, faktisch vom Richteramt ausgeschlossen werden“. Gemeint ist hier die personalisierte Symbolik im Gerichtssaal. Was der Autor vollkommen negiert, ist das Machtgefälle zwischen verurteilenden Richtern und dem Angeklagten. Ich als total Ungläubiger und Angeklagter sehe mich einer Front von Kreuzen, Kippas oder Kopftüchern als Richtern konfrontiert und soll deren Urteil reumütig anerkennen? Wohin driftet man, wenn die Botschaften der Aufklärung vernachlässigt werden und man Richter fördert, die nicht einmal in der Lage sind, ihre persönliche und demonstrativ gezeigte „Glaubenszugehörigkeit“ während Ausbildung und Amt zurückzustellen gerade im Interesse eines neutralen und nur dem Recht verpflichtenden Urteils? Wer so hartnäckig glaubt, seine „Religiosität“ zur Schau stellen zu müssen, ist besonders ungeeignet, Recht zu sprechen. Ihnen fehlt von vorneherein jeder Anspruch von Neutralität. Dabei wissen wir alle nicht, was in deren Köpfen passiert. Aber dies muss nicht auch noch amtlich dargestellt werden, dafür gibt es Revisionsprozesse. PETER RASCHKE, Hamburg

Es war ein Mann!

betr.: „Freiburg. Eine Stadt zeigt Haltung“, taz vom 10. 12. 16

Die Stadt, die belächelt wird? Geht’s noch? Eine junge Frau wurde ermordet und die erste Meldung über den Täter: Es war ein Mann! Wisst Ihr, warum wir Freiburgerinnen nicht sofort Hasstiraden schrieben oder Ausgangssperren für alle männlichen Personen bei Dunkelheit gefordert haben, obwohl tatsächlich das Sicherheitsgefühl beeinträchtigt war? Weil wir differenzieren können. Weil wir auf unsere Fähigkeit bauen, unterscheiden zu können, welchen Männern wir unsere Tür öffnen und welchen Freunden, Brüdern, Vätern und Unbekannten wir vertrauen. Und das trotz der Gewalterfahrungen mit Männern, die viele von uns erleben mussten! Oder vielleicht deswegen. Und genau diese Unterscheidung werden wir auch bei allen weiteren Merkmalen treffen, die andere Menschen mit einem Gewalttäter teilen.

Es ist ärgerlich, auf einer ganzen Seite nichts darüber zu finden, was die guten Gründe für eine friedliche Haltung in Freiburg sind! JULIA GOEBEL, Freiburg

Antilinke Polemik

betr.: „Mit zweierlei Maß“, taz vom 15. 12. 16

Aha, „antiimperialistische Linke“, „Antiimperialisten“ mit „ideologischer Verblendung“ heißen die Eroberung Aleppos durch Assad-Truppen und ihre Verbündeten gut. Wer sind sie denn, gegen die hier zu Felde gezogen wird? Todenhöfer kann ja wohl nicht als Linker durchgehen. Ein einziges Zitat, eine einzige Aussage hätten die steilen Thesen des Autors, Emran Feroz, zumindest diskussionswürdig gemacht. So ist der Artikel nichts anderes als antilinke Polemik. Und das in der taz! JÜRGEN FIEGE, Bremen