Das europäische Trauerspiel
: KOMMENTAR VON JÜRGEN GOTTSCHLICH

Was will die EU der türkischen Regierung und der Bevölkerung denn noch alles zumuten? Seit die Regierung Erdogan vor drei Jahren Ernst gemacht hat mit den Bemühungen, die Türkei gemäß den Kopenhagener Kriterien für den Beginn von EU-Beitrittsgesprächen fit zu machen, schwallt ein zunehmender Strom an Ressentiments, Chauvinismus und Ignoranz von Westen nach Osten. Sicher hat auch die Türkei in den vergangenen Jahren immer wieder Anlass zu Kritik geboten. Aber das Schauspiel, das einige EU-Staaten bieten, zeigt schon lange, dass ihr jeweiliger Auftritt mit der Entwicklung in der Türkei nichts zu tun hat. Egal ob Frankreich, Holland oder jetzt Österreich: Es geht um innenpolitische Machtspiele.

Noch ist unklar, ob die türkische Regierung dem in Luxemburg gefundenen Kompromiss zustimmen wird. Es könnte aber sein, dass Weltpolitiker vom Format Schüssels ihre Karten überreizt haben. Die Art und Weise, wie Österreich die Türkei in letzter Minute über die Klinge springen lassen wollte, wird dem Land innerhalb der EU schaden und hat schon jetzt die Glaubwürdigkeit der EU schwer beschädigt. Noch intensiver als Schüssel ist Zyperns Regierungschef Papadopoulos dabei, sich selbst den Ast abzusägen, auf dem er sitzt. Der Versuch des obersten Zyperngriechen, sich den Norden Zyperns mithilfe der EU ohne eigene Konzessionen wieder einzuverleiben, ist dann endgültig gescheitert und Zypern wohl auf weitere lange Zeit geteilt.

Die EU hat sich aus türkischer Sicht als unfähig erwiesen, gegen diese Partikularinteressen eine gemeinsame, übergeordnete Politik durchzusetzen. Selbst wenn der Beginn von Verhandlungen doch noch zustande kommen sollte, hat in der Türkei angesichts der bisherigen Erfahrungen kaum noch jemand die Hoffnung, dass die dann kommenden Krisen gemeistert werden könnten.

Die EU hat es geschafft, aus einer enthusiastischen Fangemeinde eine enttäuschte, desillusionierte Millionengruppe zu machen. Alle sind nun davon überzeugt, dass der „Christenclub“ mit ihnen nichts zu tun haben will. Das Fatale für die EU ist: Dieses Phänomen bleibt nicht auf die Türkei beschränkt.