LeserInnenbriefe
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2017 geht’s los!

betr.: „Umwege im Lebenslauf stören nicht“, taz vom 27. 12. 16

also, da steht’s schwarz auf weiß! 2017 geht’s los. Die zukunft für meine kaste hat begonnen. ich erfülle auf jeden fall, ganz sicher, alle voraussetzungen. mein lebenslauf ist krumm (der name ist programm!) und schief wie eine brandenburger kiefer. ich halte meiner frau den rücken frei (zwei kinder, fünf und zehn jahre alt) – das ist bei ihr nötig, da ihre karriere etwa so verläuft wie bei dem philosophen Günter Fröhlich (seite 5). und wenn die akademische kaste meiner frau und die proletarische kaste meinerseits irgendetwas verbindet, dann ist das die allergie auf den wunsch nach teilzeitbeschäftigung.

da meine gattin allerdings mehr goldstücke nach hause bringt als ich, sollte sie mal wieder einen befristeten vertrag ergattern, haben wir uns darauf geeinigt, dass sie ihr bedürfnis nach einer teilzeitbeschäftigung verheimlicht. unter finanziellen gesichtspunkten isses bei mir eh wurscht, ob ich arbeiten geh oder nicht. aber das ändert sich ja nun bald. sollte mein zukünftiger potenzieller arbeitgeber (ich kann sogar einen abschluss in einem lehrberuf vorweisen – kommunikationselektroniker, jepp), einen augentest wünschen, kann ich mir das geld für diesen test sicher auch mal wieder bei meiner familie leihen. wenn ich diese seite 3 vorlege, sitzt der kredit sicher locker. na jut, mit solchen aussichten kann man doch silvester feiern! vielleicht können wir der taz dann auch endlich mal einen lohn überweisen, für den wir uns nicht schämen müssen. boris krumm,Hopfgarten

We are one world

betr.: „Die Macht der Bilder“, „Ein Extra-Exitprogramm für Dschihadisten“, taz vom 28. 12. 16

Da gibt es auf der Titelseite, im Schwerpunkt und im Inlandteil vier lange Artikel über die Videoüberwachung, die es nicht schaffen weiter zu denken als von 12 bis Mittag. Die Ansätze und Argumente haben sich in den letzten 30 Jahren null verändert. Was meinen Tag rettet, war der Artikel über Aarhus, eine Stadt in Dänemark, die sich des Themas der Radikalisierung mit menschlichem und integrativem Ansatz annimmt und dabei anscheinend äußerst erfolgreich ist. Mann, Mann, Mann – so wird das nix mit: We are one world. ANGELA VOM BAUR, Straubenhardt

Gegen den Überwachungsstaat

betr.: „Die Macht der Bilder“, taz vom 28. 12. 16

Ich möchte nicht in einem Überwachungsstaat leben. Dieser kurze Leserbrief geht mir am Abend des 19. Dezember durch den Kopf, als das Weihnachtsmarkt-Ereignis gleich einem Lottogewinn für Arschlöcher über Berlin gekommen ist. Denn nicht islamistischer Terrorismus macht mir Angst, sondern die sich vom sozialen Frieden entfernende Stimmung. Voran eine Tagespolitik, die, nach dem Ausnahmezustand lechzend, jedes tragische Ereignis dazu missbraucht, dem Reichstagsbrand gleich, mit vorgeheuchelten Präventionsmaßnahmen eigenen Einfluss zu vermehren. Dabei sind sofortige Rufe nach mehr Videoüberwachung genauso fehl am Platz wie die AfD-Forderung nach einer arischen Volksgemeinschaft an solcher Stelle.

Vor einigen Monaten habe ich einen Radfahrer in einer großen Blutlache auf Straßenbahngleisen sterben sehen. Wer hat nun automatische Bremssysteme oder sturzsichere Schienenfüllungen gefordert? Das Schicksal der Menschen ist ganz offensichtlich scheißegal, auch das des angezündeten Obdachlosen, der nun ebenfalls für mehr Videoüberwachung und schnellere Ausweisung von wem auch immer herhalten darf.

Ganz egal, wie herum es also steht, die Forderung nach einem Mehr wird in jeder Konstellation an die Öffentlichkeit getragen. Dann möchte aber auch ich mit Bodycam umherlaufen dürfen, um selbstbestimmt Bildmaterial bei rassistischen Fahrscheinkontrolleuren und sexistischen Staatsbediensteten aus dem Hut zaubern zu dürfen. Wie, das geht nicht? Liebe Politik, kümmert euch um bezahlbaren Wohnraum, weniger Obdachlose und sozial durchmischte Viertel in unseren Städten. Frieden und Sicherheit kommen so von selbst. DIRK CHRISTOPH LUBIEN, Berlin

Nicht zu viele Informationen

betr.: „Nicht zu viel Mutmaßungen dazupacken“, taz v. 21. 12. 16

Da meine Frau und ich unter Bombenhagel aufwuchsen, einige Anmerkungen zu Ratschlägen der Notfallpsychologin Ria Uhle: Im Jahr 1943, ich war 8 Jahre alt, begannen die schweren Angriffe auf Berlin. Wir wohnten in der Nähe des Bayerischen Platzes, der besonders stark bombardiert wurde. Zunächst (also vor 1943) wurde der Keller des Hauses mit Pfeilern verstärkt und ein Durchbruch zum Nachbarhaus geschaffen. Ich erinnere mich, meine Mutter gefragt zu haben, warum man nicht Fenster in ausgebrannten Häusern anbringe, die Ruinen sähen dann besser aus. Wir Kinder gingen mit Kleidern ins Bett, da fast allabendlich Alarm gegeben wurde. Ich erinnere mich nicht, irgendwelche Erklärungen bekommen zu haben. Meiner Frau, als kleines Mädchen, ging es ebenso. Abend für Abend rannte ihre Familie zum Bunker, zurück dann im Feuerschein der brennenden Häuser.

Als Zugabe erlebte ich das Bombardement auf Potsdam: Fast 500 Flugzeuge warfen am 14. April 1945 1.750 Tonnen Sprengstoff auf die Stadt. Ich lag als fast Zehnjähriger auf schwankendem Boden und schrie: „Lieber Gott, hilf uns doch!“ Wir nahmen die Bombardements als etwas Natürliches hin.

Frau Uhle sagt richtig, nicht zu viele Informationen den Kindern zu geben. Auch ist es zwecklos, von bösen Feinden zu sprechen. Kinder sind sehr realistisch. Das Beste ist, den Kindern mütterlichen oder väterlichen Schutz zu geben. Dann werden die Ängste viel leichter verarbeitet. SIGFRID BEIN, Strasbourg, Frankreich