Ungelernt zur Desinfektion

CHARITÉ Während die Klinik Missbrauch aufklären muss, entscheidet der Aufsichtsrat über die nichtmedizinische Tochter: Eine Kommunalisierung ist unwahrscheinlich

■ Die Charité ist eine der größten Universitätskliniken Europas, sie gehört dem Land Berlin. Mit fast 13.000 Mitarbeitern ist sie nach Bahn, Vivantes und Siemens der viertgrößte Arbeitgeber der Stadt.

■ Nicht zu diesen 13.000 gehören die rund 2.700 Beschäftigten der Charité Facility Management GmbH (CFM). Sie kümmern sich um alle nichtmedizinischen Aufgaben. Die Charité hält 51 Prozent an der CFM, 49 Prozent sowie die operative Geschäftsführung liegen bis Ende 2012 bei den Privatunternehmen Dussmann, Vamed und Hellmann Worldwide Logistics. 2011 belief sich der Umsatz der CFM auf 130 Millionen Euro, der Jahresüberschuss lag bei 62.000 Euro.

■ Vor 2006 ließ die Charité fast alle nichtmedizinischen Aufgaben von etwa 150 externen Dienstleistern erbringen. (sepu)

VON SEBASTIAN PUSCHNER

Wenn es im Flur der Charité Stau gibt, wird Simone Raab* aggressiv. Sie arbeitet als Reinigungskraft, muss ihren breiten Wagen mit Putzutensilien zum nächsten Patientenzimmer schieben. Aber oft geht das nicht: weil eine Krankenschwester den Essenswagen hat stehen lassen und der Flur zu eng ist für zwei Wagen. „Dann schreie ich die Kollegin an und erschrecke dabei über mich selbst“, sagt Raab. „Ich habe zu wenig Zeit für zu viel Arbeit, bin überfordert und rege mich deshalb total schnell auf. Dabei will ich gar nicht schreien.“

Raab gehört zu den 2.700 Angestellten, die für ein teilprivatisiertes Tochterunternehmen der Charité arbeiten, die Charité Facility Management GmbH (CFM). An den Standorten in Mitte, Lichterfelde und Wedding kümmern sie sich um alles, was nicht mit Medizin und Pflege zu tun hat: putzen, Essen kochen, die Telefonzentrale managen, die Bäume in den Parks beschneiden.

Die Privaten bestimmen

Wenn am Montag der Aufsichtsrat der Charité zusammentritt, dann soll er auch über die Zukunft dieser 2.700 Menschen entscheiden. Darüber, welche Privatunternehmen für die kommenden 6 Jahre 49 Prozent der CFM-Anteile übernehmen. 18 Interessenten gibt es, und es wäre keine Überraschung, bliebe alles beim Alten: Seit 2006 gehört die CFM fast zur Hälfte den drei Dienstleistungsfirmen Dussmann, Vamed und Hellmann. Sie führen das operative Geschäft.

Die Gewerkschaft Ver.di macht die Privaten für das Steigen des Zeitdrucks auf Reinigungskräfte, für generell miese Arbeitsbedingungen, die Behinderung von Gewerkschaftern und den zunehmenden Einsatz von Leiharbeitern verantwortlich. CFM widerspricht allen Vorwürfen; die geltenden Leistungsanforderungen seien marktüblich und keiner werde bestraft, weil er Gewerkschaftsmitglied sei, auch nicht, wenn er im vergangenen Jahr gestreikt habe.

Damals erkämpften 300 Beschäftigte in ihrem dreimonatigen Arbeitskampf einen Mindeststundenlohn von 8,50 Euro. Doch mehr ist bisher nicht passiert, die Verhandlungen über einen Manteltarifvertrag stocken, die Arbeitgeber hätten kein Interesse an weiteren Verbesserungen für die Mitarbeiter, so Ver.di.

Die Gewerkschaft fordert, dass die Charité – und damit das Land Berlin – auch jene 49 Prozent der CFM übernimmt, die noch bei den Unternehmen liegen. Dafür wollen Gewerkschafter am Montag vor der Aufsichtsratssitzung am Campus Mitte demonstrieren. Mit dem Ruf nach Kommunalisierung ist Ver.di nicht allein: In der SPD hat die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen dasselbe gefordert, in einem offenen Brief an den Landesvorstand und die SPD-Abgeordnetenhausfraktion. Deren Vorstand verlangte vergangene Woche, der von Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD) geleitete Charité-Aufsichtsrat solle prüfen, ob er seine Entscheidung verschieben und die ausgeschriebene Laufzeit verringern kann.

SPD ist zu spät dran

Alternative Modelle zur CFM habe die Charité „intensiv geprüft“, wegen wirtschaftlicher und qualitativer Aspekte jedoch verworfen, sagt eine Sprecherin des Mutterkonzerns. Die SPD hat mit der Diskussion über die CFM-Struktur zu spät angefangen. Schon im Dezember 2011, kurz nach Ende der Streiks, beschloss die Charité die europaweite Ausschreibung der 49 Prozent. Das Land selbst bewarb sich nicht.

Für Simone Raab geht es wohl so weiter wie bisher, sie wird schimpfend mit ihrem Putzwagen durch den Flur hetzen. Sie wird sich fragen, ob sie als ungelernte Reinigungskraft überhaupt Zimmer desinfizieren kann, wenn die Patienten entlassen wurden. „Eigentlich gibt es bei uns dafür doch richtige Desinfektoren, die die entsprechende Ausbildung haben“, sagt sie. „Desinfektor“ stehe auf dem Formular dort, wo sie ihre Unterschrift hinsetzen müsse, wenn sie mit dem Zimmer fertig sei.

Das schlechte Gewissen, mit dem sie nach der Schicht heimgeht, hat andere Ursachen: Wenn sie es nicht mehr geschafft hat, von allen Infusionsständern die heruntergetropfte Flüssignahrung abzuwischen. „Das muss dann die nächste Schicht zusätzlich machen, und das ist ein ganz blödes Gefühl“, sagt sie.

* Name geändert