Anschlag von Berlin

Am Tag nach dem Mordanschlag mischen sich besonnene Worte mit schrillen Zwischentönen. Experten warnen vor Instrumentalisierung

Ernste Weihnachten

Politik Die Kanzlerin verspricht, dass der Anschlag aufgeklärt wird, und wirbt in einer kurzen Rede um die offene Gesellschaft. Die CSU macht derweil wieder Stimmung gegen die Flüchtlingspolitik

Gesten der Trauer und des Respekts: Angela Merkel trägt sich in der Gedächtniskirche ins Kondolenzbuch ein Foto: Hannibal Hanschke/reuters

von Anja Maier

BERLIN taz | Der Nachmittag gehört den Opfern. Kanzlerin Angela Merkel, Innenminister Thomas de Maizière, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Berlins Bürgermeister Michael Müller besuchen den Tatort an der Berliner Gedächtniskirche.

Tags zuvor amüsierten sich hier auf dem Weihnachtsmarkt noch Berliner und Touristen, am Montag ist dies ein Schreckensort. Die Kanzlerin und ihre Begleiter legen weiße Rosen nieder. Sie sprechen mit Polizisten. In der Kirche tragen sie sich in das bereitliegende Kondolenzbuch ein.

Dieser Tag nach dem Anschlag wird im Gedächtnis bleiben. Er folgt Regeln der Trauer, des Nachdenkens, des Respekts. Begonnen hat er im Regierungsviertel.

Im Kanzleramt weihnachtet es. In der ersten Etage, neben den Porträts der einstigen Bundeskanzler, leuchtet eine hohe Tanne. An den Geländern, die zum Südfoyer führen, glitzern große Sterne. Dorthin kommt um Punkt 11 Uhr Angela Merkel, um eine Erklärung abzugeben.

Fünf Minuten dauert das, was sie zu sagen hat. Merkels Sprecher Steffen Seibert steht stumm dabei, den Kopf gesenkt, das Gesicht grau. Die Kanzlerin spricht fast tonlos. Es ist ein schwerer, ein ernster Moment. Am Abend zuvor ist ein Mann mit einem Sattelschlepper in den Berliner Weihnachtsmarkt am Zoo gefahren. Zwölf Menschen sind tot, achtundvierzig verletzt, achtzehn von ihnen schwer. Der mutmaßliche Täter ist zu diesem Zeitpunkt noch ein 23 Jahre alter Pakistaner. Nun muss die Kanzlerin versuchen zu erklären, was im Grunde kaum zu erklären ist.

Angela Merkel versucht es. Sie erinnert an die Todesopfer und an die Verletzten. An deren Familien, Angehörige und Freunde. „Wir alle, ein ganzes Land, sind mit ihnen in tiefer Trauer.“

„Das Leben, wie wir es in Deutschland leben wollen – frei, miteinander und offen“

Angela Merkel

Merkel dankt den Rettungskräften, den Polizisten, Ärzten, Feuerwehrleuten, die „im Schatten der Gedächtniskirche Dienst an ihren Mitmenschen getan haben“. Und sie verspricht, dass die Tat aufgeklärt und bestraft wird, „so hart es unsere Gesetze verlangen“.

Es folgt jener Satz, mit dem viele gerechnet haben, den sie aber auch befürchtet haben. „Wir müssen nach jetzigem Stand von einem terroristischen Anschlag ausgehen.“ Merkel bekennt, dass es besonders schwer zu ertragen sei, sollte sich dieser Verdacht bestätigen. Ein Mensch, dem in diesem Land geholfen wurde, könnte andere Menschen mit in den Tod gerissen haben. Merkel gebraucht ein für sie absolut untypisches Wort, „widerwärtig“ nennt sie diesen Verdacht.

Sie versucht dennoch, etwas wie Zuversicht zu verbreiten. Zwar habe sie auf all das Schreckliche keine einfache Antwort. Aber: „Wir wollen nicht damit leben, dass uns die Angst vor dem Bösen lähmt. Auch wenn es in diesen Stunden schwerfällt: Wir werden die Kraft finden für das Leben, wie wir es in Deutschland leben wollen – frei, miteinander und offen.“

Merkel klappt ihre Mappe zu und geht nach links ab. Gleich trifft sie sich mit dem Sicherheitskabinett. Die Lage, sie ist ernst.

582 Kilometer vom Kanzleramt entfernt, in der Bayerischen Staatskanzlei, agiert Horst Seehofer derweil als eine Art Nebenregierungschef. Der Ministerpräsident kündigt für den Montagnachmittag eine Sitzung seines Sicherheitskabinetts an. Noch bevor Merkel spricht, fordert er einen Kurswechsel in der Zuwanderungspolitik.

Der Respekt vor der Regierungschefin in Berlin hätte es geboten, deren Stellungnahme abzuwarten. Aber Seehofer tickt anders. „Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu ausrichten“, erklärt er in München.

Die Provokation: Der nordrhein-westfälische AfD-Landeschef Marcus Pretzell hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Schuld an dem Anschlag in Berlin gegeben. „Wann schlägt der deutsche Rechtsstaat zurück? Wann hört diese verfluchte Heuchelei endlich auf?“, twitterte Pretzell noch am Montagabend. „Es sind Merkels Tote!“ Pretzells Tweet wurde von Politikern und Nutzern scharf kritisiert. Die voreiligen Schlussfolgerungen und schrillen Töne von rechts überschlügen sich, twitterte zum Beispiel SPD-Vize Ralf Stegner.

Die Strategie: Die AfD will im Bundestagswahlkampf 2017 gezielt mit Provokationen und Tabubrüchen auf sich aufmerksam machen. Ein entsprechendes Strategiepapier sei am Montag in einer Telefonkonferenz des Bundesvorstands beschlossen worden, berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Je mehr die AfD von anderen Parteien stigmatisiert werde, desto positiver sei das für ihr Profil, heißt es in dem Papier.

Ein Versehen ist ausgeschlossen. Schon am Morgen hatte Seehofers Innenminister Joachim Herrmann dem Bayerischen Rundfunk gesagt: „Wir müssen uns jetzt mit der Frage beschäftigen, welche Risiken wir mit dieser großen Zahl von Flüchtlingen ins Land bekommen.“ Der Bevölkerung könne nicht zugemutet werden, „das jetzt einfach weiter so laufen zu lassen, dass wir ein erhöhtes Anschlagsrisiko von Personen haben, die aus einem radikalen Islamismusverständnis heraus solche Anschläge begehen“.

Die CSU nutzt den Moment der Verunsicherung, um ihre Politik anschlussfähig zu machen. Seit Monaten fordert Seehofer eine „Obergrenze“ für Flüchtlinge. Zuletzt hatte er erklärt, ohne eine solche Zusage keinen gemeinsamen Wahlkampf mit Merkel führen zu können.

Erst vor Kurzem hat Merkel ihre Anwartschaft auf die Kanzlerschaft erklärt. Sie hat gesagt, dieser Wahlkampf würde wohl ihr schwierigster werden. Dieser Dienstag, vier Tage vor Weihnachten, zeigt, wie richtig sie mit ihrer Einschätzung liegt.