„Jeder Tote ist für mich ein Toter zu viel“

Anzeige „Hinz&Kunzt“-Verkäufer Erich Heeder hat wegen des Winternotprogramms für Obdachlose Anzeige gegen die Stadt gestellt

Erstattete Anzeige: Erich Heeder Foto: Mauricio Bustamante

Der Mann, der eine Anzeige gegen die Stadt Hamburg gestellt hat, wohnt in einer Plattenbauwohnung in Billstedt. „Für mich war klar: Sobald in Hamburg ein Obdachloser tot aufgefunden wird, stelle ich eine Anzeige“, sagt Erich Heeder. Der 65-Jährige Straßenkünstler arbeitet nebenher als Hinz&Kunzt-Verkäufer, über seinem Bett hängt, neben eigenen Kunstwerken, ein Bild von Che Guevera. Früher war Erich Heeder selbst mal obdachlos. Zwei Obdachlose sind diesen Winter bereits gestorben, also ist Erich Heeder zu seinem Billstedter Polizeikommissariat gegangen und hat die Stadt Hamburg angezeigt – weil sie ihr Winternotprogramm tagsüber geschlossen hält.

Obdachlosen ist der Aufenthalt in den Übernachtungsstätten zwischen neun und siebzehn Uhr nicht gestattet. In Erich Heeders Augen ist das „verantwortungslos“. Die Stadt sei dazu verpflichtet, eine ganztägige Unterbringung von Wohnungslosen zu gewährleisten. Rechtlich gesehen kommt Hamburg dieser Verpflichtung nach, weil es neben dem Winternotprogramm mehrere Tagesaufenthaltsstätten gibt. Aber wieso sind die Erfrierungsschutzräume des Winternotprogramms nicht auch tagsüber zugänglich?

Der Sprecher der Sozialsenatorin rechtfertigt die Schließungspraxis damit, dass die Obdachlosen tagsüber die Beratungsangebote in Anspruch nehmen sollen. Die Räume des Notprogramms bedürften einer „intensiven hygienischen Reinigung“, und eine ganztägige Öffnung würde den „sozialen Frieden“ gefährden. Wären sie dauerhaft geöffnet, würden die Aufenthaltsstätten den Charakter einer „öffentlich-rechtlichen Unterbringung“ bekommen und zum Wohnungsersatz werden.

Erich Heeder schüttelt über diese Aussagen den Kopf. Hinz&Kunzt-Chefredakteurin Birgit Müller weist darauf hin, dass die Plätze im Beratungsprogramm längst nicht für alle ausreichten. Das Straßenmagazin hat bereits im vergangenen Jahr eine Petition gestartet und 55.000 Unterschriften für ganztägig geöffnete Aufenthaltsstätten im Winter gesammelt. Ob die beiden toten Obdachlose aufgrund von Nässe und Kälte gestorben sind oder weil sie krank waren, ist allerdings unklar.

Sozialsenatorin Melanie Leonhard lehnt eine ganztägige Öffnung weiterhin ab. Seit 2009 sei die Zahl der Plätze im Winternotprogramm um das fünffache aufgestockt, das Beratungsangebot in diesem Winter deutlich verbessert worden.

Erich Heeder hofft trotzdem, dass seine Anzeige etwas bewirkt. „Jeder Tote“, sagt er, „ist für mich ein Toter zu viel.“

Nora Kaiser
und Kai von Appen