Die anderen Männer

Wenn Polinnen sich als Punk verkleiden und Außenministerinnen Herzen in den Schnee von Texas pinkeln

Auf einmal waren sie da. Vor etwa zehn Jahren kam mein Kollege eines Morgens völlig aufgelöst herein und quiekte verzweifelt in die Runde: „Wieso arbeiten die Punks plötzlich?“ Er war kaum zu beruhigen.

Erst nach einem Doppelten bekamen wir Folgendes aus ihm heraus: An einer Ampel hatte ein mit Eimer und Wischer ausgerüsteter Punker versucht, sein Autofenster zu putzen. Wie gelähmt hatte der Kollege alles über sich ergehen lassen und ihm anschließend sogar zwei Mark dafür gegeben. Das klang in der Tat alarmierend: Von arbeitenden Punks ist es nur ein gedanklicher Katzensprung zu blökenden Kälbern ohne Köpfe, Flüssen aus Blut und riesigen Kröten, die mit Vorschlaghämmern die Straßenbahnschienen bearbeiten und dazu „Bonanza“ pfeifen. Amargheddon war offensichtlich nah – eine andere Lösung schien zunächst nicht denkbar.

Im Laufe der Jahre – Punk war inzwischen endgültig gestorben und wurde bei H&M gefleddert – löste sich das Rätsel zum Glück auf harmlose Weise: Die Scheibenputzer waren gar keine Punks, sondern junge Polen, die sich als Punks verkleidet hatten. So auch heute an der Jannowitzbrücke.

Mit dem Taxi stehe ich an der Ampel und die Fensterputzer schwärmen aus. Vor, hinter und neben mir stehen Fahrzeuge – ich habe keine Chance zur Flucht. Und dann kommt sie auf mich zu. „Nie dziekuje!“, schreie ich schon von weitem, „Nein danke!“, aber mein Fenster ist zu und sie tut so, als ob sie mich nicht hört und wirft mir ein Luftküsschen zu. Gleich darauf steht die falsche Punkerin vor meinem Taxi und malt mit ihrem Schrubbding ein Herzchen auf die Windschutzscheibe.

Wie raffiniert, wie berechnend! Das machen die nämlich immer – das habe ich schon oft gesehen, wenn ich mit dem Fahrrad an den wartenden Autos vorbeigefahren bin. Mich können sie damit nicht beeindrucken, aber andere durchaus. Leider. Verächtlich schmunzle ich in mich hinein, bei dem Gedanken daran, wie leicht doch andere Männer zu berechnen sind. Bei einigen scheint das Gehirn tatsächlich nur ein Kippschalter zu sein, mit zwei verschiedenen Optionen: „Weibchen in Sicht“ und „Stand-by“.

Um ihr klarzumachen, dass ich keiner von denen bin, kurble ich das Fahrerfenster herunter und lächle generös: „Naprawde nie“ – „wirklich nicht“. Ich könnte ja durchaus beleidigt sein, dass sie mich für derart primitiv hält, aber dazu strahlt sie zu nett. Das sieht sogar beinahe echt aus und außerdem kann sie doch nichts dafür, wie diese Welt funktioniert, die die Schaltermänner letztlich uns allen aufgezwungen haben. Sie lächelt immer noch, während sie das Herz ganz langsam und sorgfältig wieder abzieht – fast zärtlich wirkt das, wie eine Intimmassage. Danach kommt sie um das Auto herum an mein Fenster. Ob ich 20 Cent für sie hätte, fragt sie, schmeichelnd – ich kenne den Ton: Da würde so manches blöde Männerherz weich wie Butter.

Schon schlimm, wenn man mal reflektiert, wie einfach das geht. Da sind schon Kriege geführt worden, wegen einem Luftküsschen oder einem Herz. Ich erinnere bloß an Troja: eine charmante Dummheit. Oder Irak: ein Herz, gepinkelt in den Schnee von Texas – von Condoleezza für Schorsch Dabbeljuh. Oder Jannowitzbrücke – hier schließt sich der Kreis: Helena, Paris, Texas, Jannowitzbrücke.

Aber nicht mit mir. Ich bin ein alter Hase. Schlohweiße Löffel. Eisgraues Stummelschwänzchen. Ein verdammt alter Hase. Sollen sie doch austicken, die anderen Männer – ein bisschen verstehe ich sie sogar in ihrer Einfalt. Das Einfühlungsvermögen für die Motive anderer Menschen ist seit je eine meiner herausragenden Stärken und natürlich wundert mich nicht allzu viel angesichts dieses frechen, süßen, kleinen, anziehenden, wilden, koketten Traums in Blond. Ich gebe ihr 50 Cent. Aber nicht dafür. ULI HANNEMANN