american pie
: The Next One

Nach langem Arbeitskampf startet die NHL mit einem neuen Superstar in die neue Saison

Er wurde erst vor kurzem 18 und hat noch kein Profispiel absolviert. Dennoch ist er bereits zum Savior ernannt worden, zum Retter einer gesamten Liga. Willkommen in der bizarren Welt von Sidney Crosby, dem frühreifen Wunderknaben aus Cole Harbour, Kanada. Willkommen in der bizarren Welt der National Hockey League (NHL), der US-amerikanischen Eishockeyliga, die letztes Jahr wegen des Arbeitskampfes zwischen Spielergewerkschaft und Ligaführung die komplette Saison ausfallen ließ und sich seither in Verruf befindet.

Sidney Crosby also soll die NHL ab heute Abend, wenn der Spielbetrieb wieder aufgenommen wird, quasi im Alleingang aus der Krise schießen. Klingt vermessen. Ist es auch. Und doch ist es Realität. Selbst Spielerlegende Wayne Gretzky, mittlerweile Trainer bei den Phoenix Coyotes, stimmt in den allgemeinen Tenor mit ein: „Crosby ist offensichtlich die Zukunft der NHL.“ Der Auserkorene selbst bleibt gelassen, nährt jedoch zugleich die in ihn gesetzten turmhohen Erwartungen. „Ich stehe im Rampenlicht, seitdem ich angefangen habe zu spielen“, erklärte er jüngst dem ESPN-Magazine. „Wenn die Leute sagen, dass ich den Eishockeysport retten werde, dann ist das eine Herausforderung, vor der ich mich nicht drücken werde.“

Vieles deutet darauf hin, dass Crosby in der Tat der richtige Mann sein könnte. In den letzten zwei Jahren markierte der Centerspieler in der Quebec Major Junior Hockey-League überragende 303 Scorerpunkte in 121 Partien. Vor knapp neun Monaten holte er mit Kanada Gold bei der Junioren-WM. Seit er im Sommer bei den Pittsburgh Penguins unterschrieb, hat der zuletzt klamme und erfolglose Klub mehr Eintrittskarten verkauft als in der gesamten Saison 2003/04.

Der Wirbel um Crosby zieht zwangsläufig die üblichen Vergleiche nach sich. Gretzky habe endgültig seinen Nachfolger gefunden, heißt es in vielen Medien; nach „The Great One“ breche nun die Ära „The Next One“ an. Der potenzielle Erbe wimmelt ab: „Ich werde nicht versuchen, ein neuer Wayne Gretzky zu sein. Ich glaube nicht, dass es jemals einen neuen Gretzky geben wird.“ Gleichzeitig räumt Crosby ein, „der Beste“ werden zu wollen, „aber ich weiß schon, dass das nicht über Nacht klappt“.

Sofortigen Erfolg darf auch die Liga bei ihrem Comeback nicht erwarten, Crosby hin oder her, und trotz eines grundsanierten Produktes. Die NHL-Chefetage nutzte das Streikjahr, um Regeländerungen zu vollziehen, die ein attraktiveres, torreicheres Spiel versprechen. So laufen die Torhüter künftig mit kleineren Schonern, Fanghandschuhen und Schlägern auf. Der Zweilinienpass ist nunmehr erlaubt, die Angriffszone vergrößert. Steht es nach einer fünfminütigen Verlängerung unentschieden, findet ein Penalty-Shootout statt. „Unsere Zeit ist wiedergekommen, wir werden besser sein denn je“, schwärmt Ligaboss Gary Bettman.

Ob der Neuanstrich reicht, um die verdrossenen Fans auch außerhalb Pittsburghs zu versöhnen und wieder in die Hallen oder vor den Fernseher zu locken, scheint indes mehr als fraglich. Kürzlich von der Internetausgabe der USA Today veröffentlichte Leserbriefe unterstreichen das. „Gierig, egoistisch, schändlich – dies sind nur einige Wörter, die einem zum Thema NHL-Streik einfallen“, schimpfte ein Leser aus Pennsylvania. Ergo: Er werde kein Spiel mehr besuchen. Ein Mann aus der Eishockeymetropole Detroit beklagte, dass viele Vereine künftig wegen des neuen salary caps (Gehaltsobergrenze) mehrere Millionen an Personalkosten einsparen, sie aber die Ticketpreise nicht entsprechend anpassen.

Der künftige Fernsehauftritt der NHL wirft ebenfalls eher Fragen auf, als dass er Bettmans Lobgesang trägt. Nachdem der Sportsender ESPN im Sommer den Vertrag mit der Liga nicht verlängerte, heuerte diese beim Kabelkanal OLN an. Dadurch verringerte sich das potenzielle TV-Publikum um stattliche 27 Millionen US-Haushalte. Zudem steht der neue Medienpartner in der Tradition von Freiluftsportarten wie Angeln und Jagen, ein weiterer fester Programmpunkt ist Rodeo. Willkommen in der bizarren Welt der NHL. TOBIAS POX