LeserInnenbriefe
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Unsägliche Verquickungen

betr.: „Belastbar und motiviert“, taz vom 13. 12. 16

Dass die Stasi-Vergangenheit von Andrej Holm offengelegt und diskutiert wird, ist völlig in Ordnung. Man muss ihn deswegen nicht in Schutz nehmen, aber dass er damit offen umgeht, spricht für ihn. Interessant ist allerdings, mit welchen Argumenten nun die CDU und ihre mediale Gefolgschaft über Holm herzieht. Gab es im Vergleich dazu einst einen ähnlichen Aufschrei, als Konrad Adenauer den bekennenden Nazi Hans Globke sogar als Leiter des Bundeskanzleramts installierte und als große Teile der NS-Juristen übergangslos ins Rechtssystem der BRD überwechselten? Gibt es heute ähnliche Proteste von jener berufenen Seite zu den unsäglichen Verquickungen des Verfassungsschutzes mit den NSU-Zusammenhängen?

KLAUS-ULRICH BLUMENSTOCK, Stuttgart

Bigotte Ignoranz

betr.: „Beim Sterben wegsehen“, taz vom 9. 12. 16

Frieden erreichen mit friedlichen Mitteln, so einfach wie überzeugend lässt sich Friedensbewegung definieren. In dieser Kompaktheit gibt es sie nicht, aber viele friedliebende Menschen denken und fühlen genau so, weil sie wissen, dass es keinen kriegerischen Frieden gibt und weil sie historisch eindringlichen, erfolgreichen und friedlichen Mitteln der Beendigung von Gewalt vertrauen. Sie wissen also sehr genau und begründet, was sie tun.

Wenn Bente Scheller ihnen unterstellt, sie seien zu naiv, das syrische Drama zu verstehen, zu bequem, ihren Protest zu äußern, zu gefühlskalt, sich dem Massenmord in Syrien entgegenzustellen, übersieht sie die argumentative und aktive Substanz. Im Gegensatz zur Meinung von Frau Scheller pflegen die meisten FriedensaktivistInnen keinen kruden Pazifismus, sondern einen entschiedenen, für den zum Beispiel Aleppo empirische Bestätigung für ein notwendiges konsequentes Bemühen um zivile, friedliche Lösungen ist – und genau dafür haben sich viele von ihnen seit Jahren nicht in ihre warmen Hütten zurückgezogen, sondern sich eingesetzt, in Medien, mit öffentlichen Aktionen und in Debatten. Sie klagen die Angriffe des russischen und syrischen Militärmächte auf die Zivilbevölkerung ohne Wenn und Aber an, aber genauso die Verbrechen der sogenannten Rebellen, über die zwar wenig in den Mainstreammedien, viel aber auf vielen Portalen im Internet zu lesen und zu sehen ist. Die friedensbewegt aktiven Menschen wissen um das Leiden von Menschen unter Diktatoren überall auf der Welt, aber sie durchschauen die bigotte Regime-Change-Strategie des Westens, deren Ziel nicht das Wohlergehen der Bevölkerungen ist, sondern das Verfolgen geopolitischer und ökonomischer Interessen, für die jeder Diktator und Despot gerade recht kommt.

Friedliebende AktivistInnen ergreifen nicht Partei für oppositionelle Gruppen, die mit Geld und Waffen eben dieser Strategen nicht nur ein diktatorisches Regime bekämpfen, sondern Kinder und Frauen als Schutzschilde benutzen, drangsalieren und morden unter dem Vorwand des Friedenschaffens. Sie gehen keiner Propaganda auf den Leim, weder der, die den russischen Angriffen auf Aleppo etwas Friedensbringendes andichtet, noch der, die pauschal aus den Gegnern von Assad Kämpfer für eine bessere syrische Gesellschaft machen will. Und schließlich haben viele friedensbewegte AktivistInnen in Flüchtlingsinitiativen syrische BürgerInnen kennengelernt und wissen, dass der Wunsch vieler nach schnellstmöglicher Rückkehr besteht, mit oder ohne Assad, weil sie dort Bildung, gesundheitliche Versorgung und soziale Integration hatten, von denen die meisten hier nur träumen können.

Es sind die vielen FriedensakteurInnen, die seit Langem auf alle Kriegsparteien und ihre politischen und militärischen UnterstützerInnen einwirken, alle Kriegshandlungen einzustellen, die viele Ideen für zivile Lösungen und die gesellschaftliche Aufarbeitung der Geschichte des Krieges entwickeln, teilweise gemeinsam mit pazifistischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen in Syrien. Es sind alle kriegführenden und immer mehr und immer weiter aufrüstenden Parteien in Syrien, im Westen wie in Russland, einschließlich der EU- und deutschen Regierung, die jeden dieser Ansätze zerschießt und zerbombt.

Die Stärke der friedensbewegten Menschen ist, dass sie sich von keinem politisch korrekten Virus infizieren und von keiner interessenaffinen Haltung korrumpieren lassen, sondern, deutlich und lautstark, ihren Einsatz für friedliche Lösungen vertreten. Nur wer sie hören will, kann von ihren zivilen Lösungsansätzen erreicht werden. Die politisch Verantwortlichen und ihre militärischen Hilfskräfte gehören nicht dazu – und, wie es scheint, Frau Scheller auch nicht. Leidtragende dieser bigotten Ignoranz sind die Menschen in Syrien. GÜNTER REXILIUS, Mönchengladbach