Der Streit schwelt weiter

ERIKA STEINBACH Die Personalie wurde vertagt, doch der Zeitgewinn könnte sich als nutzlos erweisen

„Herr Westerwelle versucht sich hier auf Kosten der Vertriebenen zu profilieren“

BDV-VORSITZENDE ERIKA STEINBACH

Jetzt wird von der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach, schweres Geschütz aufgefahren. Die Bundeskanzlerin, so Steinbach, müsse den Koalitionspartner zur Ordnung rufen und ihr zu dem bislang vakanten dritten Sitz im Stiftungsrat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ verhelfen. Es gehe darum, „eine menschenrechtskonforme Lösung zu finden, die den vielen Freiheitspostulaten im Koalitionsvertrag entspricht“. Ob Steinbach durch die Koalition bestellt wird, so der BdV, sei „ein Demokratietest für unser Land“.

Doch Außenminister Westerwelle zeigt sich unnachgiebig. Er bleibt dabei: Die Bestellung Steinbachs widerspreche dem Stiftungszweck „Versöhnung“, da sie aufgrund der polnischen Vorbehalte gegen Steinbach zu einer Verschlechterung des deutsch-polnischen Verhältnisses führen werde. Dies sei mit der deutschen Staatsräson unvereinbar.

Abgesehen von dem polnischen Staatsminister Władisław Bartoszewski, der für den Fall ihrer Bestellung mit nicht näher bezeichneten Konsequenzen droht, zeigt sich die polnische Regierung allerdings zurückhaltend. Die der Regierung Tusk nahestehende Gazeta Wyborcza schrieb gestern, Steinbach sei ein Problem Deutschlands. „Wir sollten uns nicht einmischen und höchstens die Bundesregierung ermuntern. Nichts würde die Vertriebenen mehr stärken als eine Kritik aus Warschau.“

Damit reagieren polnische Medien auf Westerwelles Hinweis auf die „polnische Sensibilität“. Tatsächlich begegnet die Argumentation des Außenministers in der deutschen Öffentlichkeit zunehmender Kritik. Selbst Gegner Steinbachs und des von ihr initiierten „Zentrums gegen Vertreibungen“, der privaten Vorläuferin der jetzigen Bundesstiftung, zeigen sich irritiert. Wer Steinbach den Sitz im Stiftungsrat verweigere, beweise mangelhaftes Vertrauen in die demokratischen Kontrollen, die das Stiftungsgesetz vorsehe. Er würdige zudem die anderen gesellschaftlichen Gruppen, die Vertreter in den Stiftungsrat entsenden, zu bloßen Vollzugsorganen der Politik des BdV herab.

Bundeskanzlerin Merkel hat durch den erneuten Aufschub der Benennung Steinbachs durch das Präsidium des BdV Zeit gewonnen. Doch bleiben die Positionen unverändert, so wird dieser Zeitgewinn nutzlos sein. Es rächt sich jetzt, dass die große Koalition seinerzeit überhaupt beschlossen hat, das Zentrum gegen Vertreibungen in Bundesregie zu übernehmen und damit den BdV ins Boot zu nehmen. Die Alternative, die Geschichtsmuseen des Bundes um eine dem Vertriebenenschicksal gewidmete Abteilung zu erweitern, wurde nicht aufgegriffen.

Ein Weg aus dem Dilemma, in dem Merkel steckt, wäre es, die beiden bestellten Vertreter des BdV zu bitten, Platz zu nehmen, aber den Sitz Steinbachs für einen unbefristeten Zeitraum leer zu lassen, quasi als symbolische Geste. Aber diese Lösung wird der BdV schwerlich akzeptieren.

CHRISTIAN SEMLER