Südlich von Bremen: Trostlosigkeit im Nichts
Der Fotograf Jo Fischer hat das Städtchen Syke und seine Bewohner porträtiert. Herausgekommen sind Impressionen trüb-nebulöser Tristesse
Bäume im Nebel, Pferde verschwinden in der Dämmerung. Unter einer stoisch strahlenden Laterne parkt einsam ein Auto. Mit dem Zirkel gezogene Gräben durchziehen die abgeerntete Trostlosigkeit Butenbremer Äcker. Verschlossen am Wegesrand ruht trotzig ein Schuppen, aus der Nachtdunkelheit leuchtet ein Kriegerdenkmal. Und als der Fotograf dieser niedersächsischen Herbsttristesse mal pinkeln muss, knipst er gleich den Busch der Erleichterung, frontal illuminiert mit einem grellen Blitz.
Sieben Wochen lang war Jo Fischer Stadtfotograf Sykes, auf Einladung des örtlichen „Zentrums für zeitgenössische Kunst“. Für Kurator Nils-Arne Kässens ist dessen Engagement ein Abschiedsgeschenk: Am 15. Dezember übernimmt er die Leitung des Osnabrücker Felix-Nussbaum-Hauses und Kunstgeschichtlichen Museums.
Warum gerade dieser Künstler zum Ausstand? „Er ist der Shooting-Star der jungen Foto-Szene“, sagt Kässens. Allerdings ist Fischer Jahrgang 1970 und pflegt eine altbekannte Ästhetik der Grautöne, top-modisch: setzt man im Schöner-Wohnen-Milieu doch damit kühl-melancholische Akzente an den Wänden der Designerwohnzimmer. Wider die überbordende Präsenz farbiger Bilderfluten triumphiert die Tendenz zum Schwarz-Grau-Weißen.
Geplant war in Syke anderes: ein Porträt der Stadt anhand der Fotos und Geschichten ihrer Bewohner – in Farbe! Fischer schien ideal dafür geeignet: Ein kommunikativer Typ mit kumpelhafter Kreuzberger Schnauze, schmuddeligem Harley-Davidson-Cap und Jeans in der Kniekehle – bis zum autodidaktischen Start seiner Fotografenkarriere vor neun Jahren war Fischer Frontmann der Berliner Rockband Desperado 5.
Heute verdient er als Werbefotograf sein Geld, wird von Printmagazinen angeheuert, um Bundesliga- oder Rockstars abzulichten, aber auch für Fotoreportagen über Bikertreffen oder das Leben am Rio Buritaca in Kolumbien. Nun also Entschleunigung in der niedersächsischen Provinz.
„Syke … hat was, einfach bärenstark“ steht am Ortseingang. „Was Syke nicht hat, ist guter Handyempfang und schnelles Internet“, sagt Kässens. Aber nette Gastfamilien. Fischers neue Adresse: Im Storchennest 14. Von dort aus streift der Großstädter durch die Kleinstadt, geht essen und besucht öffentliche Veranstaltungen. „Freundliche Leute, aber immer wenn ich jemanden ansprach, hieß es: reden ja, fotografieren nein“, berichtet Fischer. Als er beim Frühschwimmen im Hallenbad auftaucht, hätten alle Anwesenden ihren Kopf der Wand zugewendet. „Jugendliche sagten, Fotos auf Facebook posten sei kein Problem, Fotos in einer Kunstausstellung posten: nein, danke.“
Mit einer derartigen Verschlossenheit war der Globetrotter noch nie konfrontiert. „Völlig undenkbar hier, ein Ehepaar auf der Wohnzimmer-Couch abzulichten.“ Auch die Stadt bot keine reizvollen Motive. „Jede Straße gleich, diese langweiligen Einfamilienhaussiedlungen“, sagt Fischer, „als wäre ich hier im Film ,Die Truman Show'. Daher hatte ich das Bedürfnis, die Syker wachzurütteln: Macht doch bitte mal Wildes, dreht doch mal durch. Aber dafür findest du hier keinen.“
Bisher flogen ihm Motive, Modelle, Aufträge nur so zu – nun war er „echt verzweifelt“. Und definierte sein künstlerisches Konzept neu. Wenn die Syker ihre Lebensgeschichten nicht ablichten lassen, macht er eben Bilder, die ihre eigene Geschichte erzählen. Entsprechend seiner trüben Laune und der verklinkert öden Gesichtslosigkeit der Hachestadt knipste er nun nicht mehr farbig, sondern in Schwarz-Weiß. Traurige, ruhige, innige Bilder entstanden bei November-Streifzügen durchs Syker Umland. Aufnahmen von einfacher, klassischer Schönheit – wie man sie aus der Frühzeit der Fotografie kennt: nebulöse, unscharfe, düstere Impressionen.
Einige Porträtwillige fanden sich dann aber doch noch – und damit den Weg in die Ausstellung. Etwa eine junge Frau mit Teddybär auf matschigem Feld in ebensolchem Licht. Und ein Friseur, der seine Gesichtshaut mit Klammern drangsaliert hat. „Kunst muss wehtun, hatte ich ihm gesagt“, so Fischer. Sein Lieblingsort aber war mittwochs, ab 17 Uhr, der Seniorentanz im Rathaus. „Da fand ich Menschen, die geben Gas, 90-Jährige, die tanzen wie junge Hüpfer.“ Er lichtet einige vor schwarzem Hintergrund ab. Auch vom Alter gezeichneten Hände. Weitere Porträts entstanden in einem Seniorenheim, dem Flüchtlingscafé des Gemeindehauses und einer psychiatrischen Einrichtung.
All die Porträts wirken, als wären sie Ergebnis einer Totensonntagsrecherche. Schonungslose Schärfe, brachiale Kontraste, funkelnde Schwärze – mit geschlossen Augen sehen die betagten Syker wie ihre eigenen Totenmasken aus, bei geöffneten Augen wirken sie abwesend, blicken trostlos ins Nichts. In sehr lockerer Hängung wird all das in kleinen Räumen präsentiert, mit knarzenden Böden und schiefen Wänden. Charmant!
Jo Fischer ist inzwischen wieder mit anderen Themen unterwegs. Am Amazonas will er einen vom Aussterben bedrohten indigenen Volksstamm porträtieren. „Das wird einfacher als in Syke“, hofft er.
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