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Medusa tanzt mit einem weißen Typen

Choreografie Anders als im oft kulturkämpferisch geführten postkolonialen Diskurs geht es in den „Five Studies on Post-Colonialism“ von Christoph Winkler in den Sophiensælen spielerisch, ironisch und ekstatisch zu

von Astrid Kaminski

Vier Elemente definiert Naishi Wang für den chinesischen Tanz: Positivität der Regierung, Druck auf das Volk, ein bisschen Sonne (das, was noch durch den Smog kommt) und Super-Ping-Pong. Eins zu eins zum Einsatz kommt diese Stilkunde dann jedoch nicht. Vielmehr setzt Wang mit verzückt verrenktem Blinzeln zu einer seiner verzerrten Fusion-Performances an. Als würde er von einer innerchemischen Reaktion erfasst, während der Glitzersweater über nacktem Oberkörper bei jedem Stretchen und Recken kokett ein Stück Bauch freigibt.

In eine eindeutige Richtung lässt Naishi Wang die Nummer entgleisen, die in seinem Tänzer-Bio-Pic „Can Asians Dance“ für die Bedingungen steht, unter denen der in den 1980ern im Norden Chinas Geborene sich 2004 nach Toronto aufmachte: Gezeichnet von einem gärenden Stileklektizismus aus Kung Fu, hoch und nieder angesetzten Schulter- und Armbewegungen aus mongolischen und tibetanischen Traditionstänzen, Qigong, Tai Chi, klassischem chinesischem Tanz, HipHop und einem vital wirbelorientierten Beijing-Contemporary. Das selbst erklärte Muttersöhnchen Naishi Wang bastelt das alles lustvoll trashig zusammen. Das Ergebnis wirkt, als würde man einen Automotor in einem Kühlschrank einbauen.

Die Fusion und das Aufgehen im jeweils eigenen Stilmix ist ein Thema, das sich durch die gesamten „Five Studies on Post-Colonialism“ zieht. Zu diesem Projekt hat der Berliner Choreograf Christoph Winkler Tänzer*innen eingeladen, deren Biografie und Körper-Selbstverständnis sich sowohl aus europäisch-US-amerikanischen wie aus außereuropäischen Tanztraditionen informiert. Der stets an unterschiedlichen Körperlichkeiten interessierte Winkler hat urbane Tanzkulturen und Zeitgenössischen Tanz schon zusammengebracht als die Reviere noch klar getrennt waren. Er will mit den „Five Studies on Post-Colonialism“ – so schreibt er in seinem Intro – das Selbstverständnis des Zeitgenössischen Tanzes, der Ästhetik seiner Techniken, Stile und Praktiken, hinterfragen.

Anders als oftmals im Kontext eines zum Kulturkampf geratenen postkolonialen Diskurses, geht es in den „Five Studies“, die in den Sophiensælen uraufgeführt werden, weniger ernst und verbissen als spielerisch, ironisch und tänzerisch gelöst bis ekstatisch zu.

Während Naishi Wang sich selbst im Spiegel seiner „östlichen“ Erziehung und „westlichen“ Choreografen charmant-komisch dekonstruiert, verausgabt sich die in Deutschland bei persischen Eltern aufgewachsene Raha Nejad mit „Persian Hair“ in einem imposanten Labyrinth aus Background-Moves, Urban Dance, Vogueing, Finger- und Gelenkspielen aus „orientalischem“ Tanz. Ihre Energie ist der einer griechischen Tragödie ebenbürtig, ihr Duktus der einer Selbstbehauptung auf einer Bühne, über die noch recht wenig Urban Dance gefegt ist. Was nicht heißt, dass kein Genuss im Spiel wäre, wenn sie ihr honigsträhniges, dunkles Haar zur fünften Gliedmaße oder zu einem ganzen Medusenhaupt werden lässt.

Der neuseeländische Tänzer samoanischer Abstammung Aloalii Tapu kommt wie Nejad aus dem Urban Dance, bewegt sich aber ähnlich wie Wang durch einen imposanten Stilclash. Er wagt sich an eine Cover-Version von Steve Paxtons Paradestück „The Goldberg Variations“. In „Dancing Like A White Guy“ infiltriert er den einstmaligen antiformalistischen Befreiungsschlag der tänzerischen Postmoderne mit Brüchen zwischen einem zeitgenössischen Stil, der heterogen zerfasert wirkt, und der extrem geballten und angespannten Körperlichkeit, die seinen urbanen Stil prägt.

Chinesischer Drache und afrikanischer Löwe leisten sich tänzerische Integrationshilfe

Sehr viel selektiver verfahren die ehemalige Alvin-Ailey-Tänzerin Dominique Rosales und der burkinische Ahmed Soura in „Seeing Alvin Ailey“. Das Hauptwerk des afroamerikanischen Starchoreografen „Revelations“ zerlegen sie ballettkritisch in diverse, für sie zugängliche Elemente – was leider noch unnachvollziehbarer bleibt als Tapus-Bach-Paxton-Performance.

In „The Lion and The Dragon“ schließlich lassen wiederum Ahmed Soura und Naishi Wang chinesische und afrikanische Vorurteile miteinander kollidieren – eine Methode, die das Choreografenduo Gintersdorfer/Klaßen und ihre ivorischen Tänzer*innen berühmt gemacht hat. Hier leisten sich nun Drache und Löwe gegenseitig tänzerische Integrationshilfe, während nebenbei die chinesischen Investitionsvorhaben in Afrika bis 2020 referiert werden. Am Ende synchronisieren sich die Tänzer zu zuckersüßer afrikanisch-chinesischer Fusionmusik.

So erfrischend der Slapstick und die Tanzlust zum Thema sind, so sehr fehlt am Ende ein Zugang zum Referenzsystem der Forschungsfrage, die die Betitelung als „Studien“ rechtfertigen würde. Christoph Winkler manövriert sich hier selbst in eine Art Pattsituation, in dem er „Five Studies“ nicht einfach als Produzent, sondern als Choreograf verantwortet. Soll nun aber ein weißer Deutscher seinem nichtweißen, internationalen Cast zum Thema Postkolonialismus sagen, wo es lang geht? Wohl kaum. Die Konstruktion wackelt, was wohl auch ein Grund ist, warum diese Studien so überaus luftig geraten.

Nächste Aufführung: Samstag, 10. Dezember, 19 Uhr

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