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Allen kannst du nicht gefallen

Kunst I Bhupen Khakhar nimmt eine zentrale Rolle in der modernen Kunst Indiens ein. Die Kunsthalle der Deutschen Bank stellt ihn nun dem deutschen Publikum vor

Bhupen Khakhar, „Janata Watch Repairing“, 1972. Aus der Porträtserie der „Handwerksgemälde“ Foto: Deutsche Bank KunstHalle

von Brigitte Werneburg

Das große Bild, das die Ausstellung eröffnet und ihr den Titel gibt, kommt einem seltsam vertraut und gleichzeitig doch fremd oder, um ein heute verpöntes Wort zu gebrauchen, exotisch vor. Bhupen Khakhars „You can’t please all“ (1981) zeigt eine abendliche, entspannte städtische Szene. Es muss warm sein, denn im Vordergrund nimmt ein weißhaariger nackter Mann, welcher den Maler selbst darstellt, die rechte Bildhälfte ein. Er schaut, gegen die Brüstung eines Balkons gelehnt, auf seine Nachbarschaft, die im Freien zusammensitzt und Tee trinkt, Mangos vom Baum pflückt oder, unter die Kühlerhaube ihres Autos gebeugt, Reparaturen ausführt.

Ein Paar, Vater und Sohn, ist mit dem Esel unterwegs. Erst trägt der Esel den Sohn, dann trägt er Vater und Sohn, dann tragen Vater und Sohn den Esel, beziehungsweise begraben sie ihn. Erst war es den Leuten nicht recht, dass der Vater laufen musste, dann, dass der Esel mit beiden zu schwer zu tragen hatte. Schließlich, als sie ihn tragen, stirbt er, und der Vater sagt, während sie das Grab ausheben: „Du kannst es nicht allen recht machen.“ Über die Fabel ganz unterschiedliche Zeiträume in die Gleichzeitigkeit des Gemäldes zu überführen, ist ein Stilmittel der sienesischen Malerei des 14. Jahrhunderts. Sie liebte Khakhar wegen ihres „bescheidenen Stils“, ihrer „Schüchternheit“ und „Zurückhaltung“, wie er selbst sagte. Dieses Vorbild einer noch der Gotik verhafteten Malerei also macht uns das Gemälde so seltsam vertraut, während uns seine satten Farben, das Pink und Ocker des Balkons oder das unglaubliche Blau der Straße sagen, dass wir uns in ganz anderen Gefilden als den europäischen befinden. Und noch etwas macht uns das Bild vertraut: der sichtlich individuelle autobiografische Aspekt der Szene. Nackt steht der Maler vor uns, doch wir müssen noch einmal genau schauen, um in der Erektion des fabelhaften Esels die ganze Botschaft zu verstehen: Dieses Bild ist Bhupen Kha­khars Coming-out.

Als Wirtschaftsprüfer

Ein Jahr zuvor war seine Mutter gestorben, die er gepflegt hatte. Gegen alle Widerstände hatte sie, die Witwe, ihm als erstem Kind der Familie den Universitätsbesuch ermöglicht. Wenn auch in Teilzeit arbeitete Bhupen Khakhar (1934–2003) nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften sein Leben lang als Wirtschaftsprüfer. 1962 zog er nach Baroda im westindischen Bundesstaat Gujarat, wo er sich an der Maharaja Sayajirao University für den Master in Kunstkritik einschrieb und sich mit der europäischen Kunstgeschichte, besonders der der Frührenaissance vertraut machte.

Schnell wurde Khakhar Teil der Kunstszene von Baroda. Er lebte etwa acht Monate lang mit dem britischen Pop-Art-Künstler und Austauschstudenten Jim Donovan zusammen. Schon ein Jahr später stellte er das erste Mal in Bombay und zwei Jahre später in Europa aus.

Das Leben der kleinen Leute

In den 1960er und 1970er Jahren entdeckte er den modernen Primitivismus von Henri Rousseau für sich und zitiert in den Bildern „Tiger and Stag“ (1970), „Republic Day“ (1970) oder „Man leaving (going Abroad)“ (1970) direkt die Rousseau’schen Blumenrabatten und dessen Dschungel. Sein Interesse am Alltag und an den banalen, billigen Souvenirs, die der Künstler sammelte, führten zu einer ganz eigenwilligen Bildsprache, charakterisiert durch prachtvolle Farben und eine eher ungelenke Figuration. Ganz wunderbar ist etwa die in fantastische Pink schwelgende, aber ganz sachlich gemalte Szene des „Barber’s Shop“ (1973), der zur Porträtserie der „Handwerksgemälde“ gehört, mit der Kharkhar das Leben der einfachen Leute und Arbeiter feierte.

Seit „You can’t please all“ setzte sich Khakhar in seiner Malerei, in der auch Einflüsse der indischen Miniaturmalerei und religiösen Ikonografie zu finden sind, sehr ehrlich und explizit − daher auch entsprechend provokativ − mit dem eigenen Lebensstil, seiner Homosexualität und am Ende überaus beeindruckend mit seiner Krebserkrankung und dem Sterben auseinander. In seinem letzten Gemälde, einem kleinen, goldfarbenen Bild, pinkelt ein kranker, leidender Mann in seinen Schuh, wobei ihn ein Schaulustiger ertappt und auslacht. Obwohl der Kranke sein Gesicht in Schmerzen verzieht, muss er zugleich selbst lächeln über sein Missgeschick, was ihm eine überraschende Würde gibt.

Bhupen Kharkhars radikale Offenheit, sei es in seinen Motiven, sei es in seinen Bemühungen, die eigene Malerei immer weiter zu perfektionieren, zu verfeinern oder in Experimenten noch einmal ganz anders anzusetzen, macht den Rundgang durch die Ausstellung, die von der Tate Modern übernommen wurde, zum Erlebnis. So viel Charme, so viel Radikalität und Ehrlichkeit, so viel kluge Achtung des Alltags und so viel Talent, dessen Talmigold wie dessen wirkliche Tragödien einzufangen, begegnet man selten.

Bis 5. März, Kunsthalle der Deutschen Bank, Unter den Linden 13/15, täglich 10 bis 20 Uhr, montags freier Eintritt, Programm: deutsche-bank-kunsthalle.de

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