„So souverän muss man erst mal sein“

Das bleibt von der Woche Senatorin Ramona Pop hat sich einen Staatssekretär mit CDU-Parteibuch gesucht, die Ehrendoktorwürde für den türkischen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım sorgt für Wirbel, Michael Müller wurde zum Regierenden Bürgermeister wiedergewählt, und Chris Dercon, der bald die Volksbühne übernehmen soll, kotzt sich über Berlin aus

Chapeau,
Senatorin
Pop!

Grüne ernennt CDUler

Pop hat eben noch nie in einer staatlichen Verwaltung gearbeitet

So souverän muss man erst mal sein wie Ramona Pop, in der neuen rot-rot-grünen Landesregierung zuständig für Wirtschaft, Energie und Betriebe. Schon vor ihrer Ernennung am Donnerstag sickerte durch, dass Pop sich als einzige Senatorin einen Staatssekretär mit einem inkompatiblen Parteibuch aussuchen würde, nämlich den CDU-Mann Hennner Bunde.

Wieso, könnte man fragen? Ist doch logisch: Pop ist seit 2001 Abgeordnete und führt zwar seit sieben Jahren eine auf fast 30 Köpfe anwachsende und nicht immer einfache Fraktion samt Referenten, hat aber noch nie in einer staatlichen Verwaltung gearbeitet. Dass sie jemand braucht, der ihr in den neuen Job rein hilft, müsste selbstverständlich sein.

Und dass das der übernimmt, der schon vier Jahre Staatssekretär in der Wirtschaftsverwaltung ist, ebenfalls. Umso mehr, weil Bunde sich intensiv mit den landeseigenen Unternehmen befasst hat, für die Pop im neu gestalteten Ressort zuständig ist. Anders als etwa in der Verkehrs- oder Sozialpolitik ist das kein Hauptschauplatz parteilicher Auseinandersetzung. Und anders als beim Umweltressort als grünem Ur-Thema ist es kein Zeichen fehlender eigener Qualität, den Posten nicht aus den eigenen Reihen zu besetzen.

Natürlich ist Bunde nicht ohne Grund seit 2005 in der CDU. Doch auf Vergaberichtlinien und Beteiligungsmanagement dürfte das wenig Einfluss haben. Ein ähnlicher Fall auf Bundesebene ist Finanzstaatssekretär Werner Gatzer: Der kam als SPD-Mann unter Peer Steinbrück in sein Amt und blieb es auch, als die SPD aus der Regierung flog, und unter Schwarz-Gelb Wolfgang Schäuble von der CDU das Finanzministerium übernahm.

Doch Parteien handeln nicht immer logisch. Ganz schlicht sind da erst mal Begehrlichkeiten von Parteifreunden, die es gar nicht toll finden, wenn sie selbst für den Posten nicht in Frage kommen. Zum anderen ist für manchen linken Grünen ein – politisch – Schwarzer weiterhin ein rotes Tuch. So einer sogar als Staatssekretär? Für viele dort undenkbar.

Dass Pop all das beiseite geschoben, pragmatisch abgewogen hat, mit wessen Hilfe sie ihren Job am besten machen kann, ist ein sehr gutes Signal. Denn um einen anderen CDU-Mann zu zitieren, der selber wenig mit den Grünen zu tun haben wollte: Entscheidend ist, was hinten raus kommt. Auf Berliner Verhältnisse übertragen: der größte Nutzen für die Bewohner dieser Stadt – nicht für die Partei. Stefan Alberti

Schweigen gleich Zustimmung

Ehrendoktortitel-Dilemma

Eine Aberkennung der Ehrendoktorwürde hätte unangenehme Konsequenzen

Es ist ein Dilemma für die Technische Universität (TU): Der Asta forderte in der Sitzung des Akademischen Senats am Mittwoch, dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım die 2011 verliehene Ehrendoktorwürde abzuerkennen. Der Grund: die systematische Einschränkung der akademischen Freiheit durch die türkische Regierung.

Yıldırım kann der Ehrendoktortitel rechtlich aber nur auf Grundlage eines Paragrafen aberkannt werden, der im Nationalsozialismus dafür missbraucht wurde, jüdischen Wissenschaftlern ihre akademischen Titel zu entziehen. Dass der Paragraf zur Entziehung eines akademischen Titels im Falle späteren „unwürdigen Verhaltens“ noch im Berliner Hochschulgesetz steht, ist an sich schon ein Skandal. Der Bund hatte das Gesetz 2010 aufgehoben. Das Bundesverfassungsgericht urteilte 2014, dass der Entzug des Doktorgrades wegen „Unwürdigkeit“ nur bei wissenschaftsbezogenen Verfehlungen in Betracht komme.

Für die TU gibt es gute Gründe, die Sache auf sich beruhen zu lassen: Eine Aberkennung der Ehrendoktorwürde Yıldırıms könnte unangenehme Konsequenzen haben – diplomatisch wie rechtlich.

Dementsprechend zurückhaltend reagiert die Universitätsleitung auf die Forderung des Asta. TU-Präsident Christian Thomsen regt an, Ehrendoktortitel in Zukunft nur noch für hervorragende wissenschaftliche Leistungen zu vergeben. Den Fall Yıldırım übergibt er dem Ehrenausschuss zur Prüfung. Zudem will Thomsen das Parlament auffordern, den Paragrafen der „Unwürdigkeit“ aus dem Berliner Hochschulgesetz zu streichen.

Das sind wichtige und bedachte Schritte. Aber die Hochschule kann nicht dabei stehenbleiben, sich in den wissenschaftlichen Elfenbeinturm zurückzuziehen. Die umstrittene Ehrendoktorwürde von Binali Yıldırım ist längst zum Politikum geworden. Die aktuellen Geschehnisse in der Türkei fordern eine Positionierung. Weil Schweigen Zustimmung bedeutet.

Dass sie geschwiegen haben, kann man den Hochschulen nicht vorwerfen: Nach dem Putschversuch in der Türkei am 15. Juli 2016 äußerten sie sich besorgt über die Entlassungen an den türkischen Hochschulen. Auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) protestierte gegen die „tiefen, offenbar skrupellosen Einschnitte in die akademischen Freiheiten“.

Nun müssen diese Solidaritätsbekundungen in Handeln münden. Dem türkischen Ministerpräsidenten, der für eben jene systematischen Massenentlassungen von türkischem Hochschulpersonal verantwortlich ist, die Ehrendoktorwürde abzuerkennen, wäre ein erster Schritt. Elisabeth Kimmerle

Ein Monat Ruhe für den Dompteur

Rot-Rot-Grün kann starten

Ein immenser Druck lastet auf dieser Koalition, noch bevor sie begonnen hat

Am Donnerstag um 10.42 Uhr ist Michael Müller das, was er nie werden wollte: Chef einer Koalition aus drei Parteien. Mit 88 Stimmen aus dem Lager von SPD, Linken und Grünen im Abgeordnetenhaus wird der bisherige auch zum neuen Regierenden Bürgermeister gewählt. Nicht alle rot-rot-grünen Parlamentarier votieren für ihn, mindestens vier Stimmen fehlen. Doch es genügt, um Müller sichtlich zu entspannen.

Die Wochen und Tage zuvor waren hart gewesen, der SPD-Chef hatte auf Kritik erstaunlich dünnhäutig reagiert, er wirkte abgekämpft. Müde klang auch die Pressemitteilung, die Müller nach der Vereidigung des Senats am Donnerstagnachmittag verschicken ließ: „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Wir wollen gemeinsam etwas für Berlin erreichen, damit die Stadt den Herausforderungen der Zukunft gewachsen ist.“

Stellt sich die Frage, ob Müller den Herausforderungen seines Dompteurdaseins gewachsen sein wird. Ein immenser Druck lastet auf dieser Koalition, noch bevor sie richtig zu arbeiten begonnen hat. Der Reformstau – scheußliches Wort, aber hier passt es –, in Berlin ist riesig: seien es Schulen, Verkehr oder die Verwaltung. Die eigene Klientel drängt auf politische Zeichen; die Opposition aus CDU, AfD und FDP lauert nur auf Fehler. Dazu kommt die Vorbildfunktion von Rot-Rot-Grün für den Bund, die viele Linke dem Bündnis gerne zuschreiben. Und dazu sind es eben nicht zwei, sondern drei Parteien, die miteinander klar kommen müssen, die sich aber auch profilieren wollen und sollen.

Kein Wunder also, dass SPD-Strippenzieher und -Fraktionschef Raed Saleh am Rande der Müller-Wahl „Stabilität“ als erstes Ziel ausgab. Er meinte das nicht nur in Abgrenzung zur Vorgängerregierung, die in ihren fünf Jahren mehrfach auf der Kippe gestanden hatte.

Tatsächlich wird es erst einmal darauf ankommen, dass diese Regierung ihren Rhythmus findet, dass sie kurz rauskommt aus der Hochgeschwindigkeitseuphorie, die der eigene Koalitionsvertrag geweckt hat. Dafür hat sie jetzt einen Monat Zeit. Am 9. Januar ist die erste Klausur angesetzt, erst danach soll das 100-Tage-Progamm kommen. Ab dann zählt’s.

Bert Schulz

Chris Dercon hat schlechte Laune

Streit um Volksbühne

Dercon muss sich schon jetzt jeden Tag davon überzeugen, in Berlin zu bleiben

Als im April 2015 heraus kam, dass der belgische Kurator und Theaterwissenschaftler Chris Dercon, bisheriger Chef der Londoner Tate Galery, Frank Castorf an der Volksbühne ablösen soll, wurde viel gehauen und gestochen in dieser Stadt. Bis heute kann man zurecht darüber streiten, ob mit der Volksbühnenkultur noch immer einer der letzten Orte für Subversion – oder ob das Haus längst zu jenem Eventschuppen geschrumpft ist, den der meckernde Claus Peymann vom Berliner Ensemble dank Dercon nun kommen sah.

Vielleicht war sie ja auch gar nicht schlecht, diese Diskussion in dieser ständig wachsenden und bunter werdenden Stadt: Ob es die Front zwischen Ost und West, an der sich die Volksbühne nie aufgehört hat abzuarbeiten, überhaupt noch gibt. Und ob das Globale nicht doch manchmal interessanter sein kann als das Lokale, wenn man zum Beispiel Dercons Plan bedenkt, zunächst aufs Tempelhofer Feld zu gehen, direkt neben die Hangars, in denen bei Dercons anvisiertem Antritt im Sommer 2017 womöglich noch immer Flüchtlinge leben werden. Angeblich spricht das zukünftige Team gerade mit Dié­débo Francis Kéré über dieses Thema, der mit Christoph Schlingensief das Operndorf in Burkina Faso gebaut hat.

Nun hat der Streit um die Volksbühne allerdings eine Kurve genommen, die keiner Diskussion bedarf. Ende November hat der in dieser Woche ernannte Kultursenator Klaus Lederer von den Linken – der sich stets als Fan der alten Volksbühne inszenierte –, in einem Radiointerview fallen lassen, man müsse die Personalie Dercon noch einmal überdenken. Gelinde gesagt war dies kein geschickter Schachzug. Das alte Team der Volksbühne hat längst woanders Verträge gemacht und Dercon könnte Abfindungssummen verlangen, bei denen Lederer schwindelig werden dürfte. Lederer stand mit einem Schlag wurstiger da als viele seinen Vorgänger Tim Renner empfanden.

Dass es trotzdem genau so kommen, dass Berlin demnächst zum Gespött der internationalen Kulturszene werden könnte, legte Anfang der Woche Dercon selbst dar. Der sonst so schwungvoll auftretende Mann zeigte sich ausgesprochen übellaunig. „Ich weiß nicht, ob ich Berlin noch helfen kann“, sagte er. Die Stadt, die er vor einem Jahr noch kosmopolitisch fand, sei so langweilig wie Athen – er müsse sich jeden Tag wieder davon überzeugen hierzubleiben.

Ob da wohl noch was zu retten ist? Susanne Messmer