Vom Lumpen zum Luxus

Der irre Handel mit Altkleidern: die Doku „Secondhand – Ein T-Shirt reist um die Welt“ (22.10 Uhr, Arte)

Eine gute Dokumentation bringt dem Zuschauer auf unterhaltsame Weise etwas näher, was er noch nicht wusste. Um es vorwegzunehmen, „Secondhand – ein T-Shirt reist um die Welt“ ist eine solche Dokumentation. Doch zunächst ist unklar, worin bei Raffaele Brunettis Film das Neue liegen soll. Heißt es doch ganz schlicht im Pressetext, er sei der Frage nachgegangen, wo die Kleider landen, die in die Altkleidersammlung gegeben werden. Wo werden die schon landen? Na, bei den Bedürftigen. Wozu dieser Frage überhaupt nachgehen?

Man erwartet also ein Loblied auf den europäischen Spendergeist und auf das Rote Kreuz, die es armen Kindern in Afrika ermöglichen, in einem echten Fußballtrikot zu spielen. Doch weit gefehlt. Der Film – und damit die Welt – ist wieder einmal vollkommen anders, als man denkt. Brunetti verfolgt ein ausgedientes Fußballtrikot aus dem Hamburger Vorort Maschen über alle Umwege bis in die Hände des kleinen Lucky im Landesinneren Tansanias. Es ist nicht nur eine spannende Reise mit den unterschiedlichsten Gestalten, sondern, was dabei am meisten verblüfft, auch der Weg einer langen Handelskette, bei der von Station zu Station Geld fließt.

Da zahlt Großhändler Olaf ans Rote Kreuz, dann der neapolitanische Zwischenhändler Lello an Olaf. Lello wiederum exportiert die Textilien in 21 afrikanische Länder an Inder und Osteuropäer, die dort den Handel kontrollieren. Zu ihnen kommt auch Mister Nesco, der nur einen einzigen Sack T-Shirts kauft, um sie in einer Region loszuwerden, in der es eigentlich immer kalt ist. Dazu verkauft er noch einige Sachen weiter an Esther, die ihre Kunden in abgelegenen Dörfern findet. Und so landet das Trikot bei Lucky, der es wohl tragen wird, bis es auseinander fällt.

Nicht nur die Leute und ihre Geschichten unterhalten und verblüffen, sondern auch die Absurdität der Globalisierung. Denn während man in Europa denkt, dass die Kleider irgendwie gratis in die Dritte Welt gelangen, glaubt man in Afrika „Mitumba“ (so der Name für Altkleider) sei dead white men’s clothes. Man kann sich nicht vorstellen, dass jemand so gut erhaltene Sachen einfach verschenkt. Mitumba können sich in Afrika nur die Reichen leisten. Stolz präsentiert ein Büroangestellter seine Schuhe und meint, er wisse ganz genau, dass dieses Paar in seiner Stadt einzigartig sei.

Die Secondhand-Kleider legen also nicht nur lange Wege zurück, sie erfahren auch eine vollkommene Umdeutung. Das ist das Neue an Brunettis preisgekröntem Film: Aus europäischen Spenden werden afrikanische Luxusgüter. Geschickt führt der Film immer tiefer ins Hinterland des Altkleiderhandels und endet ironischerweise bei der Mutter aller Kleidung: auf einem Baumwollfeld. PHILIPP LÖHLE