MARTIN REICHERT über LANDMÄNNER
: Die lustigen Holzhacker-Buam

Am Tag der Deutschen Einheit haben wir es krachen lassen: Es war Oktoberfest und wir hatten Holz vor der Hütt’n

Am Tag der Deutschen Einheit haben wir tonnenweise Holz gehackt. Mein Freund hat eine von polnischer Hand liebevoll installierte tschechische Holzvergaser-Heizung, deren sonores AKW-Brummen uns seitdem die brandenburgischen Winter erträglicher macht. Doch nun galt: So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben: zerkleinern, auf Schubkarren packen, im Schuppen stapeln.

Wir haben ordentlich gelärmt an diesem Feiertag, aber das ist nicht weiter aufgefallen, weil überall in der kleinen Ackerbürgerstadt Menschen auf den Straßen tanzten, sich in den Armen lagen und die deutsche Einheit feierten, was das Zeug hielt. Das war gelogen. In Wirklichkeit war es absolut totenstill, die Sonne dimmte durch einen dunstigen Schleier und hüllte die verfallenden, grauen Häuser in ein gnädiges und zugleich depressives Licht.

Wir sind eigentlich sehr froh über die Wiedervereinigung, denn sonst hätten wir uns ja nie kennen gelernt. Mein Freund ist Ossi, ich bin Wessi, und schon vor Jahren wuchs zusammen, was zusammengehört. Ich war dabei, als er seinen höchst persönlichen Abschied von der DDR genommen hat, damals, in den Arkaden des Alten Museums in Berlin, nachdem wir im Kino „Coming-out“ gesehen hatten, den ersten und zugleich letzten DDR-Film zum Thema Homosexualität. Er hatte als Statist mitg wirkt, man sah ihn insgesamt dreimal kurz Walzer tanzend in der Ostberliner Homo-Kneipe Burgfrieden – das alles noch einmal anzuschauen hatte ihn unglaublich traurig gemacht. In meiner Hilflosigkeit hatte ich auf den Fernsehturm und die Plattenbauten gezeigt und gesagt: „Aber sieh doch mal, es steht doch alles noch, und ihr seid doch auch noch alle da.“ Dann haben wir uns lange im Arm gehalten.

Während ich in Prenzlauer Berg allmählich verostete – nach einer Weile hatte ich begriffen, dass man seine Kohlen nicht in der Benetton-Tüte aus dem Keller heraufträgt, wenn man ernst genommen werden möchte –, umgab sich mein Freund fast nur noch mit Wessis, weil er sie solidarischer und hilfsbereiter fand. Ich schrieb meine Magisterarbeit über die FDJ an der Humboldt-Universität, und er arbeitete bei „Pomp, Duck & Circumstance“. Unsere persönlichen Ost-West-Konflikte haben wir längst beigelegt, sie waren ohnehin meist vorgeschoben, denn eigentlich ging es um unsere höchst persönlichen Rangeleien.

Nachdem nun also das Holz gestapelt war, beschlossen wir, doch noch feiern zu gehen. Auf dem nicht weit entfernten Gut Liebenberg, einst Schauplatz der „Liebenberger Tafelrunde“ um Philipp Fürst zu Eulenburg, war bayerisches Oktoberfest. Um die Jahrhundertwende wurde dem Fürsten und seiner „homosexuellen Clique“ vorgeworfen, das Deutsche Reich in die parfümierten Arme Frankreichs treiben zu wollen. Die so genannte Harden-Eulenburg-Affäre war das deutsche Äquivalent zum Schauprozess gegen Oscar Wilde und machte die Homosexuellen in Deutschland erstmals zu einem Thema des öffentlichen Diskurses – und zu Staatsfeinden. Im Museum des Gutes Liebenberg werden sie heute, gut 100 Jahre später, lediglich totgeschwiegen. Kein Wort zum Thema Homosexualität.

Also heterosexuelles Oktoberfest in Preußen. Weißwürstl und Schweinsbraten in Brandenburg. Ein riesiges, zugiges Festzelt mit einer überdrehten bayerischen Blaskapelle, die über eine übersteuerte Sound-Anlage „I will wieder hoam“ singt. Ein Herr von der Band verkleidet sich mit Kopftuch und Kittelschürze als Frau, eine Mordsgaudi. Die Besserwessi-Bedienung bringt mir die Weißwurst ohne Besteck und sagt streng: „Die isst man mit der Hand.“ Das muss der Diaspora-Effekt sein, denn in München habe ich sie bisher immer mit Messer und Gabel gegessen. Dem Ton nach hat sie mich für einen Ossi gehalten.

Wir haben nur gelacht und uns dann gemeinsam nicht getraut, vor allen Leuten Walzer zu tanzen. Die Emanzipation der Homosexuellen ist, wie die innere Einheit Deutschlands auch, ein Langzeitprojekt. Und nächstes Jahr trauen wir uns.

Fragen zur Weißwurst? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander über SCHICKSAL