Der Weg zur Spitze

VON ULRIKE WINKELMANN
UND HANNES KOCH

Zarte Wölkchen aus Friedenspfeifen standen gestern Nachmittag überm Reichstag. „Eher optimistisch als pessimistisch“ kam die Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel aus dem dritten „Sondierungsgespräch“ mit der SPD zwecks möglicher Bildung einer großen Koalition.

„Wir haben festgestellt, dass es inhaltlich durchaus eine gemeinsame Basis gibt, was die Lagebeurteilung angeht“, erklärte Merkel. Zur „Klärung der Personalfragen“ – also wer in einer großen Koalition den Kanzler oder die Kanzlerin stellen wird – sei ein „Spitzengespräch“ vereinbart worden. Dieses Gespräch soll heute Abend stattfinden, hieß es aus Kreisen der Union.

Dieses Tempo ist nötig. Denn nächste Woche sollen bereits „echte Koalitionsverhandlungen“ beginnen, ergänzte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber. Man sei zu der Überzeugung gelangt, dass die großen Fragen der Haushaltskonsolidierung und der Sanierung der sozialen Sicherungssysteme „wohl in einer großen Koalition besser gelöst werden können“, sagte Stoiber. Besser als wie sonst, sagte er nicht.

Auch SPD-Chef Franz Müntefering kam ausgesprochen schwungvoll aus dem Sondierungsgespräch. Er zählte gleich ein Dutzend Themen auf, in denen es „eine große Übereinstimmung“ mit der Union gegeben habe: Etwa dass die Jugendarbeitslosigkeit weiter bekämpft werden müsse oder dass die Rentenversicherung zunächst stabil sei. Bei der Gesundheitsreform seien „verschiedene Möglichkeiten erörtert“ worden. In den vergangenen Tagen bereits hatte sich eine großkoalitionäre Kompromisslinie der erst einmal nicht zu vereinbarenden Gesundheitsmodelle SPD-Bürgerversicherung und Unions-Kopfpauschale abgezeichnet: ein schlichtes Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags zur Krankenkasse, wonach sämtliche Kostensteigerungen im Gesundheitswesen allein von den Arbeitnehmern getragen werden müssten.

Als Letzter sprach gestern Bundeskanzler Gerhard Schröder. Er betonte, dass vier Punkte zu seiner Zufriedenheit besprochen worden seien: die Notwendigkeit einer Föderalismusreform, die „Fortsetzung des Agenda-2010-Prozesses“ inklusive der Vereinbarungen vom „Job-Gipfel“ Mitte März, Investitionen in Bildung und Forschung und die Entfernung von „Bremsen“ in den „Wachstumsfeldern“ Bio- und Kommunikationstechnologie.

Zu dem „Achtaugengespräch“ zwischen Merkel, Stoiber, Müntefering und Schröder erklärte der Kanzler, auch sein Führungsanspruch sei verhandelbar: „Alle Fragen stehen zur Diskussion.“ Gesprochen wird über die Kanzlerfrage, die Ministerposten im Kabinett, die Struktur der Regierungsarbeit und wichtige Inhalte. Damit ist es der SPD gelungen, ein Paket zur Verhandlung zu stellen, damit Angela Merkel sich ihre Kanzlerschaft erkaufen muss. Den Spitzengremien der SPD wollen Müntefering und Schröder heute empfehlen, in kommende Woche in die Koalitionsverhandlungen einzusteigen.

Von dem Spitzengespräch wird es nun abhängen, wie sich die SPD aus dem Dilemma befreit, dass sie im neuen Bundestag zwar nur 222, also 4 Sitze weniger als die Union hat, doch bislang den Anspruch auf die Kanzlerschaft erhob. Gestern ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa, dass 34 Prozent der Befragten Merkels Anspruch, eine große Koalition zu führen, befürworten. Schröder wünschen sich nur noch 26 Prozent als Kanzler einer großen Koalition.