Europaküche In Belgien ist Ketchup out. Die beste Alternative kommt vom Balkan: Ajvar: Make Pommes frites great again
Von Philipp Mausshardt (Text) und Juliane Pieper (Illustration)
Wenn ich an Belgien etwas nicht verstehe, dann ist es die Küche dieses Landes. Kinderschänder, beleuchtete Autobahnen, EU-Antragsformulare – das lässt sich alles mit etwas gutem Willen vielleicht noch irgendwie nachvollziehen. Aber die Frage, warum ein Land, zwischen Meer und Rinderweiden gelegen, nur ein einziges Nationalrezept in seiner 186-jährigen Geschichte hervorbringt, konnte mir auch der Chefkoch von „Het Nieuwe Palinghuis“ in der Altstadt von Antwerpen nicht beantworten.
Miesmuscheln mit Pommes frites (moules frites), das sei doch eine wunderbare Kombination, sagte er mit einem etwas beleidigten Gesicht, als ich ihn vor ein paar Jahren um eine historische Erklärung dieses absolut irren Gerichts bat. Frische Muscheln sind okay, und gute Pommes sind auch okay. Aber beides passt zusammen wie Flandern und Wallonien, also gar nicht.
Man kann ohne Weiteres durch Belgien reisen, ohne moules frites bestellen zu müssen. Kein Land hat eine solche Dichte an Frittenbuden. Die belgischen Pommes sind für sich genommen – also ohne Muscheln – eine echte Spezialität, es gibt sogar ernsthafte Bestrebungen, sie zum Unesco-Weltkulturerbe zu erklären.
Das liegt vor allem an der Kartoffelsorte (Nicola) und daran, dass die Fritten zweimal frittiert werden. Sie richtig zuzubereiten dauert mindestens 12 Stunden. An den Buden (Frituur gennat) bestellen nur Ignoranten Ketchup oder Mayo dazu, die Kenner wählen aus Dutzenden von selbst gemachten Soßen und Dips, darunter so exotische wie „Samurai“ (mit Orange) oder „Knooflok“.
Ketchup ist also out? Richtig so! Gerade jetzt, wo uns das Amerika des Donald Trump den Appetit verdirbt, müssen wir die Ketchup-Frage ganz neu stellen. Wir brauchen diese Pampe nicht, es gibt auf unserem alten Kontinent einen wunderbaren Ersatz dafür, aber der kommt nicht aus Belgien. Das Zeug heißt Ajvar und wird in fast allen Ländern des südlichen Balkans nach alten Hausrezepten hergestellt.
Mir ist es zum ersten Mal kurz nach dem Kosovokrieg in der zerstörten Stadt Peja begegnet. Ich war Hilfskoch in einer Feldküche des Deutschen Roten Kreuzes, das die Bevölkerung der Stadt einmal am Tag mit einem warmen Essen versorgte. Weil es auf dem Markt nichts Frisches zu kaufen gab, kochten wir fast an jedem Tag einen Eintopf aus mitgebrachten Konserven.
1.500 Portionen Eintopf – nach einer Woche fragte mich ein alter Mann, ob wir auch in Deutschland so schlecht essen. Er hatte sich ein Glas mit einer roten Paste mitgebracht und rührte den Inhalt in seinen Eintopf. Jetzt schmecke es shu mir, sagte er, „sehr gut“.
Für belgische Fritten:
1 kg Adretta-Kartoffeln (oder eine andere mehlige Sorte)
0,2 l Weißweinessig
2 kg Rindernierenfett (das gibt es nur auf Vorbestellung beim Metzger – ersatzweise 2 Liter übliches Frittieröl)
Kartoffeln schälen, in schmale Stifte schneiden und in kochendem Wasser mit ein wenig Essig 8 bis 10 Minuten kochen. Abseihen und auf einem Tuch trocknen lassen. Das Frittierfett auf 180 Grad erhitzen und die Kartoffeln für je 50 Sekunden frittieren. Diese dann mit einer Schaumkelle abschöpfen, auf Küchenpapier abkühlen lassen und über Nacht einfrieren. Am nächsten Tag das Frittierfett auf 200 Grad erhitzen und die Fritten ca. dreieinhalb Minuten knusprig frittieren. Gut salzen.
Für das Ajvar:
4 große rote Paprika
1 Aubergine
2 Zwiebeln
2 Zehen Knoblauch
½ Tasse Olivenöl
2 EL Essig
Salz, Pfeffer, Paprikapulver
Paprika halbieren, Kerngehäuse entfernen und zusammen mit der Aubergine im Backofen bei 180 Grad backen, bis sie leicht dunkel werden und Bläschen bilden. Gemüse schälen und Fruchtfleisch fein hacken. Zusammen mit den fein gehackten Zwiebeln, gepressten Knoblauchzehen und Gewürzen in einem Topf unter ständigem Rühren mindestens 30 Minuten bei kleiner Hitze kochen, dabei Essig und Olivenöl unterrühren, bis eine musige Masse entsteht.
Ich war begeistert. Einem so intensiven Geschmack von roter Paprika war ich bis dahin noch nie begegnet. Schon beim Öffnen des Glases verströmte der Geruch ein Gefühl von Sommer. Woher er das habe, fragte ich. Er machte mit der Hand eine Bewegung in die Luft, überall gebe es das hier. Jede Familie habe den Keller voll damit.
Einige Zeit später stand ich auf dem Acker von Fahrije Hoti, einer Frau, die zusammen mit anderen Kriegswitwen ihres Dorfs eine Kooperative gegründet hatte und nun Ajvar produzierte. Ohne ihre im Krieg ermordeten Männer hätten diese Frauen sonst wirtschaftlich vor dem Nichts gestanden. Fahrije hatte die Idee. Ajvar war zum Synonym für Hoffnung geworden.
Ihr „Krusha“-Ajvar ist inzwischen ein Exportschlager, vor allem in die Schweiz liefert man. Mir hat Fahrije das Rezept verraten, von dem – das gehört zur Ajvar-Legende – eigentlich niemand einem Fremden erzählt. Die Zusammensetzung ist mindestens so geheim wie die Rezeptur von Heinz Ketchup.
Seither gehört Ajvar zum Grundausstattung meiner Vorratskammer. Es passt zu vielen Gerichten, als Würze oder als echte Beilage. Am allerbesten aber zu belgischen Fritten.
Die Genussseite: Philipp Maußhardt vereinigt auf dieser Seite jeden Monat die Küchen Europas. Außerdem hier im Wechsel: taz-AutorInnen machen aus Müll schöne Dinge oder treffen sich mit Flüchtlingen zum gemeinsamen Kochen, und Jörn Kabisch befragt Praktiker des Kochens.
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