: Šagors Trick
Theater Für Kristo Šagors preisgekröntes Questor-Hero-Drama „Patricks Trick“ verwandelt sich die Brauhauskeller-Bühne in eine dunkle Mentallandschaft
von Benno Schirrmeister
Zauberhaft. Das Stück ist einfach zauberhaft, todkomisch, tiefernst, und sehr poetisch. Und wo man sagen würde: Moment mal, das schwierige Thema Inklusion auf die Bühne zu bringen und dann auch noch die komplexe Frage nach der Sprache auszuloten, vom Problem des monolingualen Habitus unseres Bildungssystems, dem Umgang mit Ethno- bzw. Soziolekten bis hin zur hermetischen Lyrik Paul Celans, ist das nicht alles ein bisschen viel, lieber Autor? Und etwas überfrachtet? Und noch dazu für Kinder- und Jugendtheater?
Wo man also all das fragen würde: Da geht der Dramatiker Kristo Šagor einfach hin und schreibt, mit leichter Hand, ein Theaterstück, das eben dank seiner Vielschichtigkeit nie wirkt, als wäre es auf eine einzige Altersgruppe zugeschnitten. „Patricks Trick“, 2013 mit dem Förderpreis des Berliner Kindertheaterpreises und 2014 mit dem Jugendtheaterpreis Baden-Württemberg ausgezeichnet, ist einfach gutes Theater. Das langweilt Teens nicht, das kann Kinder ab 9 Jahren begeistern.
Und Erwachsene ebenso. Wenigstens in der Version, die vergangenen Samstag am Moks, auf der Brauhauskeller-Bühne in der Regie von Nathalie Forstman Premiere hatte: Dank ihrer Personenführung gelingt es, dass Christoph Vetter und Benjamin Nowitzky den großen, als imaginäres Zwiegespräch gefassten, inneren Monolog, aus dem dieses Drama besteht, im Raum lebendig werden zu lassen. Denn ja, das ganze Stück spielt – das ist Šagors dramaturgischer Trick – in Patricks Kopf. Iris Holstein hat dafür auf der intimen Brauhauskeller-Bühne eine meist dunkle Mentallandschaft aus Lichtschlauch, Rohrpostelementen und Spielplatzgerät entworfen, im Hintergrund ein Wald von Mündern. Vetter tritt in der Titelrolle wohltuend unaffektiert als leicht verlegener, aber manchmal auch kesser Elfjähriger auf. Und in einem herrlich mausgrauen Frottee-Einteiler, der zugleich als Strampelanzug, Halbstarkenhoodie und Damenkostüm dient, verleiht Nowitzky allen Menschen, die Patricks Denken bewegen, auf herausragende Weise Persönlichkeit.
In erster Linie ist das Patricks noch ungeborener namenloser jüngerer Bruder: Patrick hat nämlich – Riesenfreude! – von der Schwangerschaft seiner Mutter erfahren, weil er nachts aufs Klo musste, an der Küche vorbei, wo Eltern ihre geheimen Gespräche führen. Darüber ob sie, was das heißt, wie sie, dass die Entscheidung letztlich bei ihr … Belauschte Fetzen Getuschel, die Patricks Fantasie in Gang bringen. Und: „Vielleicht wird er niemals lernen, richtig zu sprechen.“ Das ist der Satz, der ihm Rätsel aufgibt.
Für die er eine Lösung sucht, indem er Menschen befragt, die ein besonderes Verhältnis zu Sprache haben: Menschen mit Ticks und Menschen mit Schrullen – die Deutschlehrerin, die Gemüsehändlerin, der merkwürdige Professor. Den Anfang macht er bei Danijel. Der ist ein ziemlicher Brutalo und vor dem hat er auch richtig Schiss, wie alle aus der Klasse. Aber, als Danijel aus Kroatien nach Deutschland gekommen war, hatte er auch nicht sprechen können, und musste das erst mal lernen. Dass er trotzdem nicht weiß, wie das vor sich ging, überrascht beide. Aber ein Grund zum Aufgeben ist das natürlich nicht. Statt ihn zu verkloppen nimmt Danijel Patrick mit zu seinem Idol, dem Boxtrainer, den Nowitzky genau auf der Schwelle zwischen furchteinflößend und lächerlich ausbalanciert. Der Boxer spricht nämlich etwas langsam. Und wenig. In Halbsätzen. Aber die, die haben ein tonnenschweres Gewicht.
Ängste überwinden, Enttäuschungen verarbeiten: Das Drama formuliert sich im Rückgriff aufs erzklassische Muster eines Monomythos. Dessen Protagonist, so hat das Joseph Campbell einst diagnostiziert, „ist der Mann oder die Frau, die seine eigene örtliche und historische Beschränktheit zu bezwingen vermag auf dem Weg zu einer allgemeingültigen menschlichen Form“.
Diese Struktur zu nutzen ist eine geniale Entscheidung. Denn sie erlaubt, ohne Didaktik, Weltbilder zu formen. Es ist ja der Poesie, der Setzung des Autors überlassen, was das Publikum als allgemeingültige menschliche Form annimmt. Und Šagor gestaltet diese Heldenfahrt als Weg in eine offene Gesellschaft: ein Denken der Inklusion. Nicht einmal Valentin, der vermeintlich beste Freund, der sich als ziemlich trübe Tasse und handysüchtig erweist, wird völlig ausgeschlossen.
Dabei verharmlost Šagor aber nicht: Als dem Protagonisten dämmert, was der rätselhafte Ausspruch über die Sprachfähigkeit seines Bruders andeutet, und als er schließlich der genauen Diagnose, Trisomie 21, auf die Spur kommt, erfährt er diese Einsicht als Schlag. Und dass ihn sein imaginärer Bruder verspottet, vor dem er diesen Schock – wie wäre das auch denkbar? – nicht verbergen kann, dass Nowitzky ihm, schamlos komisch die gesamte Palette abweichenden, auffälligen und als belastend empfundenen Verhaltens vorführt, das zum Bild des Down-Syndroms gehört, dass er auch die Möglichkeit sozialer Stigmatisierung durchspielt, dass er nervt, und dass er sich aufdrängt, das bringt Vetter zum Schmollen. Das treibt ihn zur Verzweiflung. Das versetzt ihn in Rage. Das bringt ihn zur Weißglut.
Und dann, dann wird es ein richtiger Kampf: Ja, er schlägt seinen Bruder, auf den er sich doch so gefreut hatte, noch bevor er geboren ist. Und zwar richtig dolle, nicht nur zum Spaß, beim Rangeln. Und lernt sich doch, mit ihm zu versöhnen. Und lernt, ihn zu lieben. Und ihm wirklich ein großer Bruder zu sein.
Nächste Aufführungen: So, 27. 11., 16 Uhr, 29., 30. 11. und 2. 12., 10.30 Uhr, Brauhauskeller
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