Solidaritätsadressen und preiswerte Bücher

TÜRKEI Zur Buchmesse Istanbul hat das Publikum freien Zugang. Auch eine große deutsche Delegation war vor Ort

Besucher am deutschen Stand der Buchmesse Istanbul Foto: Linda Say/dpa

von Jürgen Gottschlich

Wer über die Buchmesse in Istanbul schlenderte, konnte auf den ersten Blick glauben, in einem demokratischen Land mit freier Literaturszene gelandet zu sein. In 13 Messehallen im Vorort Belikdüzü zeigten hunderte Verlage ihr Sortiment. Nicht nur Großverlage wie Doğan Kitap, İletişim und Yapı Kredi Yayınları, auch linke Kleinverlage wie Bilgi Kitabı stellten aus. Ganz wie man es auch aus Frankfurt gewohnt ist, haben zudem Presseverlage ihre Stände aufgebaut. Rund um die Messe wird ein pralles Angebot von Lesungen und Podiumsdiskussionen geboten.

Anders als die Frankfurter Buchmesse ist die Messe in Istanbul fürs Publikum frei zugänglich. Alle Verlage bieten Rabatte auf ihre Bücher, was hunderttausende Besucher dazu brachte, den weiten Weg in den westlichen Vorort auf sich zu nehmen. „Das Gedränge in den Hallen ist enorm“, erklärt Ilija Trojanow, einer der deutschen Autoren, der der Einladung nach Istanbul gefolgt war. Denn Gastland der Buchmesse ist 2016 mit Deutschland, ausgerechnet die EU-Nation, in der die Kritik am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner Clique so laut ist wie nirgendwo sonst außerhalb der Türkei.

Deutsche Aussteller sind in Halle 1 untergebracht, abseits vom Trubel. Etliche Bücher sind dort zu sehen, die sich kritisch mit Erdoğans Herrschaft auseinandersetzen, den Völkermord an den Armeniern thematisieren und den Krieg gegen die Kurden. „Manche Ausstellungsstücke verschwinden über Nacht“, erzählt Christoph Links, einer der deutschen Verleger, die in Istanbul anwesend sind, „aber wir stellen am nächsten Morgen wieder neue Exemplare auf.“ Noch ist auf der Buchmesse vieles möglich, was in den türkischen Zeitungen oder im Fernsehen längst den Staatsanwalt auf den Plan gerufen hätte. „Der Buchmarkt ist von der Repression noch nicht in dem Maße betroffen wie der Mediensektor“, sagt Müge Sökmen, Verlegerin von Metis. Die Messe ist von einem privaten Verlegerverband, ähnlich dem Börsenverein des deutschen Buchhandels, organisiert. Staatliche Zensur fand bei der Auswahl der Verlage die sich auf der Messe präsentierten deshalb noch nicht statt.

„Wir konnten sogar einen Stand durchsetzen, an dem für Solidarität mit Aslı Erdoğan und allen anderen verhafteten Autoren und Journalisten geworben wird“, sagt Müge Sökmen, „auch wenn das viel Kraft gekostet hat und großer Druck auf die Messeleitung nötig war.“ Der Stand steht denn auch etwas versteckt am Ende der Halle 1, wo neben den deutschen Verlagen sich auch so illustre Nationen wie Aserbaidschan und Iran präsentieren. Bekannte Schriftsteller signieren an dem Solidaritätsstand ihre Bücher und machen ihre Leser auf verhaftete Kollegen aufmerksam.

Aslı Erdoğan, von der mehrere Werke auf Deutsch erschienen sind, ist die derzeit prominenteste Autorin, die während der Verhaftungswelle nach dem Putschversuch am 15. Juli in Gewahrsam kam. Sie wurde als Kolumnistin der inzwischen verbotenen Tageszeitung Özgür GündemMitte August verhaftet und sitzt seitdem im Frauengefängnis Istanbul-Bakırköy. Am Montag machten Alexander Skipis, Geschäftsführer des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, Ilija Trojanow, Christoph Links und andere auf den Weg zum Gefängnis, um Aslı Erdoğan ihrer Solidarität zu versichern.

Auf der Messe ist möglich, was in türkischen Medien längst der Staats­anwalt verhindert

Einen Besuch im Knast ließ das türkische Justizministerium nicht zu, so blieb den deutschen Vertretern nichts anderes übrig, als mit Plakaten und einem großen Transparent vor dem Gefängnistor eine Solidaritätsdemonstration abzuhalten. Der ebenfalls anwesende Anwalt der Autorin sorgte wenigstens dafür, dass Aslı Erdoğan davon erfuhr.

Gerade war bekannt geworden, dass der Staatsanwalt gegen Erdoğan eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ (gemeint ist die kurdische PKK) fordern will. Lässt das Gericht die Anklage zu, rechnet ihr Anwalt damit, dass der Prozess gegen die Autorin bald beginnen wird. „Wir befürchten, dass an Aslı ein Exempel statuiert werden soll, um alle Türken, die sich mit den Kurden solidarisiert haben abzuschrecken“, meint eine Frau die sich regelmäßig an Mahnwachen vor dem Gefängnis beteiligt. „Deshalb ist internationale Unterstützung so wichtig.“

Dazu diente auch die Podiumsdiskussion „Für das Wort und die Freiheit“, die am Sonntagnachmittag stattfand. Für die deutsche Delegation war diese vom türkischen PEN organisierte Veranstaltung der wichtigste Auftritt in Istanbul. Neben Skipis und Trojanow saß noch Peter Kraus von Cleff vom Rowohlt-Verlag mit auf dem Podium. Mit einer Petition zur Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei, die der Börsenverein initiiert hatte, und einer Erklärung der Kurt Wolff Stiftung zu den Repressionsmaßnahmen gegen Verlage und Medien hatte sich die deutsche Delegation schon im Vorfeld hinreichend positioniert. „Die Diskussion verlief offen und man konnte über alles reden“, sagte Trojanow anschließend. Umso enttäuschter war der Schriftsteller, dass der große Saal lediglich zu einem Drittel gefüllt war. Die meisten Besucher waren offensichtlich mehr an billigen Büchern als an deutschen Solidaritätsadressen interessiert.