Im Rhythmus des Kampfs entsteht die Musik

SPORT UND MUSIK Seit 10.000 Jahren gibt es Sport und Musik. Richard Wagner ist 150 Jahre tot und die Neue Musik ungefähr 200 Jahre alt. Was kommt jetzt? Im TiB-Sportzentrum in Neukölln wurde über Neue Musik im Dialog mit Sport diskutiert

Hüftschadenhinken wurde durch herbstliche Spaziergänge erfolgreich bekämpft

So riecht er wohl, der Sport. Nach vergossenem Schweiß und abgeriebenen Gummisohlen, nach chloriertem Schwimmbeckenwasser und ein bisschen auch nach erschöpfungszigarettengeschwängerter Sportlerheimluft. Die so typische Mischung ist eher zu erahnen während der Veranstaltung „Sportgeräusch – Klangsport“, wo die Verbindungen, Parallelen und Gemeinsamkeiten zwischen Neuer Musik und Sport erkundet werden sollen. Sie schafft es dann aber doch herauf in den ersten Stock des TiB-Sportzentrums in Neukölln. Vielleicht ist es auch nur Einbildung: Schließlich hafte beidem, Sport wie Neuer Musik, so will es das Vorurteil, ein Ruch von Muff an.

Es ist der dritte Teil von „Sportstücke – Neue Musik im Dialog“, ein an verschiedenen Orten stattfindendes, von der Berliner Gesellschaft für Neue Musik organisiertes Festival. Tatsächlich entwickelt er schnell den Charme eines Musikschulvorspiels in einer Dorfturnhalle. Das Parkett ist stumpf, das Licht eher grell und die Zuschauerzahl überschaubar. Vielleicht dreißig Menschen sind gekommen, um zu sehen, wie Dodo Schliewein ihre Komposition „Übertragung“ aufführt: Sie und ein zweiter Fechter stehen sich gegenüber, ihre Degen sind aber nicht verbunden mit der Trefferanzeige, sondern mit Lautsprechern. So entsteht aus dem stilisierten Gefecht eine akustische Installation: das Knirschen von Metall auf Metall, das Quietschen der Sportschuhe, im Rhythmus des Kampfes entsteht Musik.

Anschließend spielen in einer Performance von Hans W. Koch zwei Badmintonspieler miteinander, unterstützt und irritiert von einem elektronischen Signal, das aus dem Spiel entsteht und wiederum den Rhythmus des Spiels beeinflusst. Nach einer Stimmperformance des seit zwanzig Jahren in Berlin lebenden US-Künstlers David Moss beginnt schließlich der theoretische Teil.

Der moderierende Komponist Ralf Hoyer eröffnet die Runde: Jeder soll mal sagen, was ihm zum Thema so einfällt. Gunter Gebauer, der seit seinem Buch „Poetik des Fußballs“ in solch einer Runde unverzichtbare Philosoph, berichtet von einem Hüftschadenhinken, das durch herbstlaubraschelnde Spaziergänge erfolgreich bekämpft wurde. Sportjournalist Manfred Müller erklärt, wie er mit der Universität Hannover die Zusammenhänge zwischen musikalischer Prägung und Spielweise erforscht, also die Frage: „Stimmt es, dass der Brasilianer Samba tanzt auf dem Fußballplatz?“

Stimmkünstler David Moss, der auch mit am Tisch sitzt, denkt ein wenig weiter: „Die Leute haben jetzt 10.000 Jahre Sport gemacht und fast so lange Musik. Wagner ist 150 Jahre tot und die Neue Musik ungefähr 200 Jahre alt. Da frage ich mich: Was kommt nun?“ Aber niemand versucht, die Frage zu beantworten. Stattdessen weist Moderator Ralf Hoyer den Musikjournalisten Björn Gottstein an, zweimal fünf Minuten aus seinem Radio-Feature zum Thema vorzuspielen. So kommt auch Klaus Theweleit noch zu Wort. Und die Fans des FC Liverpool singen „You’ll Never Walk Alone“. Danach hat Moderator Hoyer „gar keine Lust mehr zu diskutieren“, sondern „würde am liebsten sofort ins Stadion gehen und singen“.

Spätestens seit John Cage ist allgemein bekannt, dass jedes Geräusch und sogar die Stille Musik sein können. Also ist es auch Musik, wenn die Fans singen, der Sportler stöhnt und der Ball auf den Hallenboden klatscht. Ja, Neue Musik und Sport haben etwas miteinander zu tun. Was genau, das hätte man gern genauer erfahren. Diese Veranstaltung war dazu allerdings kaum angetan, denn bevor eine erhellende Diskussion hätte beginnen können, hatte Moderator Hoyer sie schon wieder beendet. THOMAS WINKLER

■ „Spiele 2012 – eine theatrale Begegnung von Neuer Musik und Sport“. 9. 12., 19 Uhr. Sportforum Berlin-Hohenschönhausen