Fotosafari in Treptow, Kurzfilme in Neukölln und Klettern in der Kreuzberger Boulderhalle: Crombie-Coat, Halloumi und zünftiger Muskelkater
Ausgehen und Rumstehen
von Katharina Schantz
Ein paar Freunde haben mich nachmittags zum abgesperrten Gelände des ehemaligen, abgebrannten Freizeitparks an der Spree in Treptow geschleppt. Am Gitter hängen Schilder und warnen vor Wachhunden, die eine „Gefahr für Leib und Leben!“ darstellen. Hundert Meter entfernt zuckelt eine Führung, alle in neongelben Warnwesten, am stillgelegten Riesenrad vorbei. Neben uns knipst ein langbärtiger Typ in hellbeigem Oversize-Crombie-Coat ununterbrochen auf seiner Canon EOS 60D herum. Er will, dass wir ihm helfen, über den Zaun zu klettern, und drückt mir sein Stativ in die Hand. Dabei guckt er mich verwirrt an und will wissen: „Where is your camera?“ Als ich ihm erkläre, dass ich keine dabeihabe, fragt er entgeistert: „What’s the point of coming here without bringing a camera?!“ Kopfschüttelnd zieht er ab und gibt mir Gelegenheit, beim Weiterschlendern über mein Kapitalverbrechen zu grübeln. Auf der Höhe der verlassenen Achterbahn treffen wir prompt auf ein Grüppchen Amerikanerinnen, die sich gerade in Pose werfen, um sich zusammengedrängt auf dem kleinen Handydisplay vor ihnen wiederzufinden. Vielleicht ist ihnen aber auch einfach nur kalt, uns ist es das jedenfalls, und Hunger haben wir auch.
Nach Halloumi und den ersten überteuerten Gläsern Glühwein der Weihnachtswinterwelt auf dem Potsdamer Platz landen wir in einem kleinen Neuköllner Kino, wo eine interessante Kurzfilmfolge abläuft. Einer dokumentiert in schönen Sequenzen bunt schreiende Graffiti der Berliner Street-Art-Szene. Ein anderer porträtiert leicht überzogen die destruktiven Auswirkungen der Selfiestick-Kultur auf Pärchenbeziehungen: klick am Brandenburger Tor, klick im Café am Rosenthaler Platz, klick am Holocaustmahnmal. Nachdem viele Sätze wie „So seh ich aber kacke aus!“ oder „Stell dich mal da hin … nee, das müssen wir noch mal machen“ gefallen sind, tickt der Protagonist aus und zwiebelt seiner Liebsten fünf Finger ins Gesicht. Nach wortgewaltigen Entschuldigungen versieht er die Bilder online mit #couplesgoalz #livingthedream und stellt sie dann auf Instagram. Ganz schön fies. Aber tolle Fotos gehören halt auf Instagram, oder? Wobei, da gibt es ja auch noch Snapchat oder Tumblr oder Flickr und sicher noch ein weiteres von Narzissmus getränktes Portal, bei dessen Namen man einen Rechtschreibfehler vermutet.
Am nächsten Nachmittag meint es das Wetter immer noch nicht besser, in der U-Bahn dudelt aus meinen Ohrstöpseln passend Isolation Berlin „Alles grau in Grau / Alles kalt, alles kalt, kalt, kalt“. Deswegen gehe ich lieber gleich ins Warme, bin mit S. im Boulderclub Kreuzberg verabredet. Leider ist es Sonntagnachmittag und die Halle platzt aus allen Nähten. Durchtrainierte Körper hängen pseudosouverän mit hochrotem Kopf an der Wand und versuchen die Balance zu halten. Während S. elegant von Griff zu Griff klettert, stecke ich auf einem Meter Höhe fest und bade in Selbstmitleid. Nehme mir zum x-ten Mal vor, mehr Krafttraining zu machen. Kritische Blicke streifen mich von links, hinter mir sitzen neun Leute im Halbkreis auf den Matten und feuern lautstark einen neunten auf einer schwarze Route an, als wäre das hier eine Prosiebe-Castingshow. Ich springe ab, heute macht es nicht viel Spaß, aber ich kann noch nicht gehen, weil ich diese eine Route noch nicht geschafft hab. Ich suche S., kann sie aber durch all den Kreidenebel nicht entdecken.
Frustriert treffe ich F. und G. in einer leeren, aber verrauchten Bar im Wedding. Immerhin schmeckt das Bier jetzt umso besser. Neil Youngs Gitarre, gemischt mit Stimmengewirr über missglückte Beziehungen und Donald Trump, hüllen mich ein, und ich schließe entspannt die Augen und fröne schon mal dem Muskelkater, der sich so langsam in meine Arme schleicht. Ein Glück habe ich den nicht vom Selfiestick-Halten.
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