LeserInnenbriefe
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Über Ursachen nachdenken

betr.: „Aufstand der Bedauernswerten“, taz vom 17. 11. 16

Der Artikel ist, wie viele andere zum Problem des Aufstiegs rechter Demagogen, mit seiner Selbstkritik ganz in Ordnung. Nur: Wir haben mal gelernt, dass es eine ökonomische Basis gibt und einen Überbau, der sich weitgehend auf dieser Basis gründet. In diesem Überbau verharrt offenbar das Nachdenken über die Ursachen.

„It’s Economy, stupid“, soll Clinton mal gesagt haben, und die hat er dann auch von der Leine gelassen. So hat fast die gesamte Linke, insbesondere die internationale sozialdemokratische, seit dem Pyrrhussieg des neoliberal radikalisierten Kapitalismus 1989/90 kläglich versagt. Eine Wirtschaft, die auf verrückten Glaubenssätzen basiert wie der „unsichtbaren Hand“, die die Summe der herausgekitzelten und als Tugend propagierten Egoismen („Gier und Geiz sind geil“) zum Gemeinwohl führt und nur ein Erfolgskriterium kennt: die Vermehrung von Geld, reduziert die komplexe Welt auf intellektuell erbärmliche Weise und gibt damit auch das Modell dafür ab, wie die „Bedauernswerten“ die Welt sehen.

Auch das „Postfaktische“ ist von diesem Wirtschaftsmodell eingeführt worden: eine Krise nach der anderen, die in diesem Modell nicht existieren darf, die Verarmung derer, die die Arbeit tun und angeblich von den Segnungen des „thrickle down“ profitieren, wenn die Reichen nur gut genug gefüttert werden – alles längst bekannte empirische Fakten. Wie bekannt, werden sie ebenso missachtet wie die ökologischen Verheerungen, die diese Wirtschaft anrichtet. Nachdem dieses „alternativlose“ Wirtschaftsmodell durch die Politik auch noch zum Gesellschaftsmodell hochgehievt wurde („Wachstum, Wachstum, Wachstum“), braucht man sich doch nicht zu wundern, wenn diejenigen, die in den vergangenen 30 Jahren so enttäuscht wurden, statt den notwendigen rationalen Zorn gegen die Verursacher zu mobilisieren, ihre Wut ebenso austoben, wie die Figuren in den Chefetagen ihre Renditen und Boni beschaffen: Ohne Rücksicht auf die Lebensinteressen derer, die im Wege stehen, die Ansprüche anmelden, die sich Sicherheit für sich und ihre Kinder wünschen und ein Auskommen, das ihnen einen bescheidenen Wohlstand ermöglicht. Das sind dann die Ausländer, die Flüchtlinge, die dieses Wirtschaftssystem durch soziale und ökologische Katastrophen produziert hat etc.

Kurz gesagt: Ein asoziales Wirtschaftsmodell produziert asoziales Verhalten. WOLFGANG NEEF, Berlin

Selber Pissnelke

betr.: „Freche Almans & The City“, taz vom 18. 11. 16

Liebe Hengameh Yaghoobifarah, beim Bezahlen an der Supermarktkasse Musik über Kopfhörer zu hören ist eine Unsitte, die maximale Respektlosigkeit der Kassiererin beziehungsweise dem Kassierer gegenüber verrät. Statt die Kopfhörer abzunehmen und sich zu entschuldigen, der Kassiererin zuzumuten, lauter zu sprechen, weil man sie mit vollgedröhnten Ohren nicht versteht, ist schon eine ziemliche Unverschämtheit. Und die Kassiererin – da man in der Situation selbst offenbar zu feige war – in einer nachher geschriebenen und bezahlten Kolumne als „Pissnelke“ zu bezeichnen, lässt nur einen Schluss zu: Selber Pissnelke! VOLKER SCHEUNERT, Hamburg

Selbst ein Feindbild kreiert

betr.: „Freche Almans & The City“, taz vom 18. 11. 16

Weder heiße ich Gisela noch Uschi, und schon gar nicht heiße ich Dieter oder Wolfgang, doch die Kolumne löst etwas in mir aus. Fühle ich mich angesprochen? Nein und ja. Ich bin negativ berührt in der Form, dass die Beschreibung der „Durchschnitts­almans“, die wie alle anderen versuchen, ihren Alltag hinzukriegen und sich dabei nicht komplett unwichtig und wurstig fühlen wollen, in genau dieselbe Richtung abdriftet wie der Satzinhalt, diese Leute kommentierten Menschen, um mit wieder anderen Fremden zu „bonden“: Sie kreieren selbst ein Feindbild. Die „Normalos“, die kleinen Leute, die Spießer, die alle gleich eingerichtet zu sein scheinen, die hayvans. Wie schön, wenn Sie sich davon wahrscheinlich so wohltuend abgrenzen, gut, wenn sie keine „Pissnelke“ sind.

Es ist einfach, andere mal eben im Vorbeigehen zu be- oder verurteilen, in eine Schublade zu stecken. Dann muss man sich mit diesen Subjekten nicht weiter befassen und darf sich gut, weil vermeintlich überlegen fühlen. Und das ist genau die Arroganz, die hier zum Vorschein kommt, die sich zum Beispiel manifestiert im Kopfhörertragen, da muss man mit diesen furchtbaren Spießern nichts zu tun haben, keiner soll einen dumm anlabern! SANDRA HEGMANNS-PFEIFER, Duisburg

Aggressiver Ton

betr.: „Freche Almans & The City“, taz vom 18.11. 16

So sehr ich den inhaltlichen Aussagen der Autorin über das unmögliche Verhalten deutscher Schlangesteher zustimmen möchte, so sehr sträuben sich bei mir während des Lesens die Nackenhaare. Der Ton der Autorin ist selbst derart aggressiv, dass ich ihr ebenfalls den Besuch eines Sportvereins zum „Fressenpolieren“ anempfehle.

Wenn für jemanden Geschäfte so stressauslösend sind, dass er Kopfhörer braucht, um sie zu ertragen, würde ich Online-shopping vorschlagen. Und genauso sehr wie über zischende „Uschis“ ärgere ich mich über jemanden, der a) mit Kopfhörern herumläuft, damit auch alle wissen, dass er sie nicht wahrzunehmen wünscht, und b) eine Kassiererin nicht versteht, weil er die Kopfhörer an der Kasse auflässt. REGINE BAYER, Bayreuth