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Archiv-Artikel

Hoffnung auf Hilfe von dritter Gewalt

ALG II und die Folgen: Sozialgerichte müssen entscheiden, wie viel Geld zum Leben angemessen ist

Von mnz

Bremen taz ■ Die Klagewelle ist angerollt: Die Einführung des Arbeitslosengeldes II (ALG II) zieht auch in Bremen zahlreiche Prozesse nach sich. Die neu geschaffenen sozialgerichtlichen Kammern, angesiedelt beim Verwaltungsgericht, verzeichneten in den ersten acht Monaten dieses Jahres insgesamt 351 neue Verfahren, hinzu kommen 265 Eilverfahren. Rund zwei Drittel der Fälle, so Richter Eckhard Wehe, betreffen das ALG II.

Für das Jahr 2005 rechnet das Justizressort mit insgesamt 527 Hauptverfahren an den sozialgerichtlichen Kammern, knapp jedes fünfte davon soll bis Jahresende erledigt werden. Bislang sind erst 70 dieser Klagen abgeschlossen, jedoch 85 Prozent aller Eilverfahren. Allerdings erwartet das Ressort zwischen September und Dezember noch mehr als 130 neue Eilverfahren, insgesamt rund 400 in diesem Jahr.

Die bedeutsamsten Klagen betreffen die Frage der Verfassungsmäßigkeit des ALG II-Regelsatzes von 345 Euro im Monat: Diese Summe unterschreite das Existenzminimum, behaupten gleich mehrere KlägerInnen. Das Verwaltunsgericht Bremen hat bislang noch nicht über diese Frage entschieden. Allerdings befanden zwei Sozialgerichte in Aachen und Berlin 345 Euro für „angemessen“, sagt Wehe. Ob sie Bestand haben, entscheidet am Ende möglicherweise das Bundesverfassunsgericht.

Drängender ist häufig die Frage, wer die aufgelaufenen Rechnungen für Strom und Gas bezahlt. Mindestens ein Viertel aller Eilverfahren muss sich damit auseinander setzen. Hoffnungen auf amtliche Hilfe kann Wehe nicht machen: Das Sozialressort fahre da momentan „eine harte Linie“. Strittig ist auch, wer beispielsweise eine neue Waschmaschine bezahlen muss. Auch hier ist die Haltung der Behörden eindeutig: 345 Euro müssen ausreichen, um Rücklagen zu bilden, schließlich liegt der Regelsatz um fast 50 Euro über der früheren Sozialhilfe.

Richterlich entschieden werden muss in vielen Fällen auch die Frage, ob ein ALG II-Bezieher in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft lebt – oder nicht. Hier seien die „Indizien“ ausschlaggebend, sagt Wehe. Dazu gehören gemeinsame Kinder und Konten, so der Richter, auch die Dauer des Zusammenlebens spiele ein Rolle.

Justiz-Staatsrat Ulrich Mäurer (SPD) zieht derweil eine „positive Bilanz“ der Arbeit der sozialgerichtlichen Kammern. Die Trennung der Zuständigkeiten zwischen Sozial- und Verwaltungsgericht habe eine „spürbare Entlastung“ des Sozialgerichts zur Folge, so Mäurer. Am Ende des Jahres werden dort fast ein Drittel mehr Verfahren erledigt sein als 2004, schätzt das Justizressort. Dennoch: Es bleibt ein Altbestand von fast 3.000 offenen Verfahren. „Das ist allein Arbeit für eineinhalb Jahre“, warnt der rechtspolitische Sprecher der SPD, Wolfgang Grotheer. mnz