Attraktion um die Ecke

Jeder siebte Einwohner Berlins kommt mittlerweile aus dem Ausland. Noch immer sind Türken die größte Einwanderergruppe. Doch auch für Polen sowie West- und Nordeuropäer wird die Stadt immer attraktiver

In Paris und London schwirren so viele Sprachen durch die Luft, dass man sie garantiert nicht alle identifizieren kann. In Berlin dagegen ist das immer noch anders – trotz Metropolen-Anspruch. Zwar leben auch hier viele nichtdeutsche Mitbürger. Doch allein mehr als ein Viertel von ihnen stammt aus der Türkei. Ein derart multikulturelles Bild wie in der Londoner Tube oder der Pariser Metro existiert daher in Berlin eher selten.

Der türkische Anteil aller Zuwanderer fällt seit Jahren allerdings kontinuierlich. Zwei Jahre nach der Wende lebten 138.738 Menschen mit türkischem Pass in Berlin. Seit letztem Jahr sind es nur noch 118.732. Jedes Jahr ziehen tausende von ihnen weg oder – und das berücksichtigen viele Statistiken nicht – lassen sich einbürgern und verlieren dadurch den türkischen Pass.

Insgesamt jedoch ist der nichtdeutsche Bevölkerungsanteil in den vergangenen zehn Jahren gestiegen. Während die Berliner Bevölkerung auf 3,38 Millionen geschrumpft ist, verzeichnete der Anteil nichtdeutscher Berliner ein Wachstum von 14 Prozent auf fast 450.000.

Nach den türkischen Mitbürgern bilden Polen die zweitgrößte Einwanderergruppe. Allein im vergangenen Jahr waren 3.551 Polen mehr melderechtlich registriert als 2003. Viele von ihnen machen sich nach der Ankunft selbstständig, denn obwohl Polen seit Mai 2004 Teil der EU ist, bekommen polnische Einwanderer nicht einfach eine Arbeitsgenehmigung: Nur mit einer Green-Card-ähnlichen Arbeitserlaubnis können Bürger der neuen EU-Länder in Deutschland Arbeitnehmer werden. Da Unternehmensgründungen aus der Sicht des Senats immer gern gesehen werden, ist es für viele von ihnen die einzige Möglichkeit, sich eine Existenz in Deutschland zu sichern.

Neben den Ost- und Mitteleuropäern lassen sich aber auch immer mehr Westeuropäer in Berlin nieder. Besonders unter den Franzosen ist Berlin beliebt. Im Jahr 2004 waren im Vergleich zum Vorjahr über 600 Franzosen mehr registriert. Wirtschaftliche Gründe dürften diese Zuwanderer nicht haben. Zwar herrscht auch in Frankreich eine hohe Arbeitslosigkeit. Doch die katastrophale wirtschaftliche Lage von Berlin ist in den alten EU-Ländern unübertroffen.

Außerdem zeigt die Statistik, dass auch Menschen aus ökonomisch starken Ländern wie Großbritannien oder den skandinavischen Staaten nach Berlin kommen. Für viele von ihnen sind das kreative Potenzial der Stadt und die niedrigen Lebenshaltungskosten ausschlaggebend, ihre Heimat gegen Berlin einzutauschen. Londoner oder Pariser Verhältnisse sind also noch in ferner Zukunft, aber als Tor zum Osten und als Künstlerstadt ist Berlin auf dem Weg dorthin. Benjamin Hertz