montagsdemo auf dem mars von WIGLAF DROSTE
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Am 4. Oktober meldeten die Nachrichtenagenturen, dass die US-Raumfahrtbehörde Nasa tags zuvor auf dem Mars vier bislang namenlose Felsbrocken getauft hatte. Die dicken Steine in der Marsregion „Husband Hill“ heißen jetzt „Maueröffnung“, „Montagsdemo“, „Nikolaikirche“ und „Wiedervereinigung“. Das ist kein Scherz, sondern die lautere Wahrheit – die Nasa wollte damit die Beteiligung deutscher Wissenschaftler an der jüngsten Marsmission würdigen, denn das Institut für Anorganische und Analytische Chemie der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität hatte ein Spektrometer entwickelt, das bei der Nasa-Mission im Jahr 2004 auf dem Mars Vorkommen von eisenhaltigem Gestein untersuchte und Hinweise darauf fand, dass der rote Planet früher vermutlich mit Wasser bedeckt war.

Für die Nasa ist das Benamen von Steinen im All Routine. Schon mancher Materiebrocken wurde aus Ruhe, Anonymität und entsprechend gemütlicher Privatsphäre herausgerissen und muss statt dessen „Independence“ oder „Edmund Hillary“ heißen – oder darf, als Geschenk an die Franzosen zu ihrem Nationalfeiertag, den großen Namen „Voltaire“ tragen. Die Deutschen bekamen zum 15. Jahrestag ihrer Einheit analog, was ihnen und der Sache ästhetisch zukommt: „Maueröffnung“, „Montagsdemo“, „Nikolaikirche“ und „Wiedervereinigung“. Der schwarzrotgoldene Nationalkitsch ist da angekommen, wo er immer hingehörte, auf dem Mars. Will aber der Mars das wirklich haben? Oder bringt Mars auch diese verbrauchte Energie sofort zurück?

So richtig jammerschade aber ist, dass nur vier Mars-Kluten wiedervereinigungsdeutsche Namen bekamen. Ein gnubbelig-glatziger Klumpen, der „Rainer Eppelmann“ hieße, stünde dem Mars sicher auch gut zu Gesicht, und ein trauriges galaktisches Abraumtrumm namens „Lutz Rathenow“ leuchtete mindestens ebenso ein. Könnte die Nasa hier nicht bitte nachlegen?

Ein die Tränen in die Augen schießen lassendes, schrecklich bemaltes Gesteinsbröckchen könnte „Bärbel Bohley“ heißen, ein unaufhörlich jaulender und schnäuzerdeutscher Klumpatsch hörte naturgemäß auf den Namen „Wolf Biermann“. Ein Geröllstück mit gewaltigen Ohren hieße schlicht und markig „Genscher“, ein jabbelnder Kiesel ginge als „Freya Klier“ oder als „Monika Maron“ durch, Marskrater hießen „Runder Tisch“, „Demokratischer Aufbruch“, „Egon Krenz“ und „Hans Modrow“. Fusselige, fransige Geröllkameraden wären mit „Markus Meckel“, „Günter Noocke“ und „Wolfgang Thierse“ gut dabei, ein denkmalgroßer Gesteinshaufen hieße wahlweise „Alexander Schalck-Golodkowsky“ oder „Jürgen Fuchs“.

Alles, was an der DDR am allerpeinlichsten war, wäre unter sich und angemessen weit entfernt von der wirklichen Wirklichkeit: auf dem Mars, durch ein deutsches Spektrometer beobachtet von amerikanischen Wissenschaftlern, auf die hiermit das Glas erhoben sei, aber hallo. Und über all dem leuchtete, sternschnuppenhaft und strahlend, ein klares, helles Gestirn – der Dichterplanet Peter Hacks, nach dessen Tod am 28. August 2003 der Kollege Rayk Wieland schrieb: „Auf glüht ein Stern in der Galaxis – / Kann sein, dass das die Glut von Hacks ist.“