Die Blackpooler Stadtmusikanten

Großbritanniens oppositionelle Konservative machen ihren Parteitag im Seebad Blackpool zum Theaterwettbewerb: Alle Anwärter auf den Posten des Parteichefs müssen nacheinander vor den Delegierten antanzen. Das birgt Überraschungen

VON RALF SOTSCHECK

Bei den Tories geht es derzeit zu wie auf einem Laufsteg. Auf dem Parteitag der britischen Konservativen im englischen Seebad Blackpool haben sich in dieser Woche fünf Kandidaten vorgestellt, die gerne Parteichef werden möchten. Der noch amtierende Michael Howard hatte nach der Wahlniederlage am 5. Mai, der dritten in Folge, seinen Rücktritt angekündigt.

Für den durchschnittlichen Tory ist der Zustand der Opposition nur schwer zu ertragen. Viele halten eine Labour-Regierung per se für unnatürlich, und es ist ihnen unverständlich, warum das die Wähler nicht einsehen. Wenn sie eine Wahl verlieren, dann verlieren viele Tories allerdings auch das Interesse an der Politik und widmen sich lieber dem Geldverdienen.

Deshalb waren die Parteichefs nach John Major, der als Erster 1997 gegen Tony Blair verlor, nichts weiter als Verlegenheitslösungen: William Hague, Iain Duncan Smith, Michael Howard. Nun soll ein Neuer ran. Fünf Kandidaten gibt es. Alle fünf schimpfen auf Blair, aber im Grunde wünschen sie sich, so zu sein wie er: einer, der seine Partei umkrempelt und dadurch bei den Wählern ankommt. Sie haben sich in ihren Parteitagsreden die Schlagworte von Blair ausgeliehen, so wie er sie sich im Wahlkampf 1997 von den Tories ausgeliehen hatte: Individuum, Modernisierung, Veränderung.

Bis zum Parteitag war der Favorit David Davis. Der 55-jährige Schatten-Innenminister gilt als kantiger Hardliner, er ist für die Todesstrafe durch den Strick und gegen Abtreibung. Er hat unter den Parlamentariern am meisten Unterstützer, genießt die Rückendeckung Margaret Thatchers und dürfte es daher in die Endauswahl schaffen. Allerdings trat Davis in Blackpool erstaunlich unentschlossen auf und verliert nun an Unterstützung gegenüber zwei Kandidaten, die bisher als Konkurrenten für den zweiten Platz gehandelt wurden: David Cameron, mit 38 Jahren Vertreter der jüngeren Generation, und Kenneth Clarke, der 65-jährige letzte Finanzminister der Tories.

„Notting Hill Set“ wird der Kreis um Cameron genannt – eine Gruppe selbstsicherer junger Modernisierer, die mit einem Generationswechsel den natürlichen Führungsanspruch der Tories für das Land wiederherzustellen hoffen. Clarke hingegen setzt auf das Erbe der Vergangenheit: Ihm wird das Fundament des Wirtschaftsaufschwungs der 90er-Jahre zugeschrieben, auf dem die Labour-Regierung aufbauen konnte. Er findet daher, nur er könne dem jetzigen Labour-Finanzminister Gordon Brown Paroli bieten, wenn dieser erwartungsgemäß als Nachfolger Tony Blairs in die nächste Wahl 2009 zieht. Dass er gegen den Irakkrieg ist und proeuropäischer ist als seine Konkurrenten, könnte allerdings Clarkes Schicksal besiegeln.

Die 198 Tory-Abgeordneten wählen nach dem Parteitag in geheimer Abstimmung zwischen den Kandidaten aus, und die besten zwei werden Anfang Dezember der Parteibasis in einer Urwahl vorgelegt. Gewinnt Davis, würde Blair weiter nach rechts rücken, um die liberaleren Tory-Wähler abzugreifen. Gewinnt Clarke, müsste Blair nur hin und wieder „Irak“ und „Europa“ in die Unterhausdebatten werfen, damit sich die Tories gegenseitig zerfleischen. Gewinnt Cameron, werden Blair und Brown ihn und seine Anhänger als unerfahrene Leichtgewichte abtun.