LeserInnenbriefe
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So wird es kommen

betr.: „Versteckspiel auf der Autobahn“, taz vom 14. 11. 16

Natürlich wird die Chose privatisiert. Denn nachdem die Versicherungen auf dem Feld der Altersvorsorge quasi für verbrannte Erde gesorgt haben (sprich: vor Riesterverträgen warnen mittlerweile auch Versicherungsvertickervereine), wird Nachschub benötigt. Die Autobahnen drängen sich geradezu auf.

So wird es denn auch kommen: Die Autobahnen werden mehr oder weniger in den Händen von Hedgefonds landen, die Autobahn-Verwaltungsunternehmen werden im Jahrestakt an wen auch immer verkauft werden, bis keiner mehr wirklich weiß, wem der Beton gehört. Einnahmen aus der Maut fließen derweil in Milliardenhöhe an wen auch immer, wovon dann ein winzigfitzelkleiner Anteil – um den Anschein zu wahren – tatsächlich in die Sanierung fließt. Das wird am generellen Zustand der Autobahnen auch für die nächsten hundert Jahre nichts ändern. Außer dass das Geld, das von der Maut kommt, im Bundeshaushalt eigentlich besser aufgehoben wäre als bei wem auch immer, wo es natürlich Renditen von mindestens 7 Prozent bis 15 Prozent abwerfen soll.

Am Ende sind die Straßen noch kaputter als vorher, bis dann der Staat als „Retter“ einspringen muss und den Krempel von den Unternehmen für weitere Milliarden zurückkaufen muss. Wetten? UDO SIEBRASSE, Gelsenkirchen

Kapitalismus im Endstadium?

betr.: „Irland will Apples Milliarden nicht“, taz vom 10. 11. 16

Bei Apple geht es um 13 Milliarden nicht gezahlte Steuern plus Zinsen, die nachzuzahlen wären, ja wären. Und die über tausend anderen Konzerne, die sich ebenso am irischen Modell „erfreuen“? Und das ganz legal?

Reichtum grenzenlos mehren und beschützen – das ist offenbar das Geschäftsmodell neoliberaler Regierungen. Auch die Freihandelseuphorie der Mächtigen dieser Welt geht in dieselbe Richtung. Kapitalismus im Endstadium? So falsch kann diese Deutung nicht mehr sein. Wären doch wenigsten in Deutschland Zeichen erkennbar, das Ruder herumzureißen – aber nein.

DIETER STOMPE, Erfurt

Schlupflöcher schließen

betr.: „Der westfälische Frieden der Grünen“, taz vom 14. 11. 16“

Vermögensteuer für Superreiche hört sich im ersten Moment sehr gut an, aber wer sind die Superreichen. Die Top Ten der reichsten Deutschen, die großen Konzerne? Die Konzerne zahlen nur geringe Steuern dank Schlupflöchern und internationalen Verschachtelungen, die Top Ten gehören meistens zu den Konzernen. Schließt die Schlupflöcher für BASF, VW usw., dann brauchen wir keine Vermögensteuer.

Wer in Deutschland – Umsätze macht – eine Niederlassung betreibt und/oder auch nur ein Büro betreibt, muss in Deutschland Steuern zahlen. Oder führt ein europäisches Steuerrecht ein, bei dem die Tätigkeit im jeweiligen Land besteuert wird. Nur so, liebe Grüne, könnt ihr die Wähler gewinnen und nicht mit unausgereiftem Populismus.

KARLHEINZ LUDWIG, Edingen-Neckarhausen

Lauter kluge Beiträge

betr.: „Jetzt im Ernst“, „Trump hat Hass versprochen – und er wird liefern“, taz vom 10. 11. 16

Eure Donnerstagsausgabe ist euch wunderbar gelungen! Bei so viel Fassungslosigkeit dennoch lauter kluge Beiträge zu erstellen verdient ein besonderes Kompliment. Die Ausgabe war Balsam auf meine erschütterte Seele. ANNEMARIE HAUG, Böblingen

Abgehängt oder abgehoben

betr.: „Ideologen können jetzt Morgenluft wittern“,taz vom 10. 11. 16

Claus Leggewie spricht von „verschobenem Klassenkampf“, Nina Apin von „Kulturkampf“ (Kampf der Kulturen, Seite 14). Nur: Wer hat den denn eröffnet?

Ist es eine Überraschung, dass die Insassen meines „Stadtteils mit erhöhtem Erneuerungsbedarf“ – früher: Arbeiterviertel – sich in der Gleichsetzung nichtstudiert – abgehängt – betreuungsbedürftig (durch den Sozialdienst oder gleich die Justiz) nicht wiederfinden? 30, 40 Jahre paternalistische Infantilisierung durch selbst ernannte, nicht nur linksliberale Eliten müssen irgendwann rebellischen Widerstandsgeist wecken, und der ist leider rechts gedreht, auch wenn mich die Lust an der Provokation oft an meine Jugend in den 80ern erinnert: Da schaut der Führer in einem der neu entstandenen speakeasys schon mal auf die polnischen Schmuggelzigaretten auf dem Tisch runter (Rauchen in der normalen Kneipe ist ja auch mittlerweile verboten). Dabei sehen sich die Leute hier nicht als „abgehängt“, sondern als das „Salz der Erde“, hingegen die Berliner Blase und andere „bessere Kreise“ als abgehoben.

Als letzter linker Paradiesvogel unter lauter selbstbewussten Proletariern kann auch ich nichts mit Jagoda Marinic’ „knallhartem Kampf für die Revolution“ (Die verwundete Demokratie“, Seite 7) anfangen, damit brauche ich hier keinem zu kommen. Wenn sich die Erkenntnis breitmachen sollte, dass die „Unterschichten“ vielleicht doch nicht so fortgesetzt auf die Ausübung ihres Wahlrechts verzichten, wie das mancheR vielleicht gehofft hat, und man mit ihnen wieder ins Gespräch kommen sollte, hier ein Vorschlag zum Einstieg: „abgehängt“ in allen Verwendungsformen zum Unwort des Jahres küren.

MICHAEL RICHTER, Recklinghausen