der rote faden
: Wir, das Establishment

nächste wocheNina Apin Foto: Helene Wimmer

durch die woche mit

Robert Misik

Normalität

Wenn die normalen Leute die Linken als arrogant erleben, dann ist das nicht das Problem der normalen Leute, sondern das Pro­blem der Linken. Im Grunde ist das der eine zentrale Satz, der zur Trump-Wahl gesagt werden muss. Der Aufstieg des rechten Populismus ist, bei allen lokalen und nationalen Unterschieden, ein Symptom für ein Versagen der Progressiven – und so ziemlich aller Spielarten der Progressiven.

Aber natürlich ist dieser Satz auch, wie alle simplen Formeln, extrem unterkomplex. Es beginnt schon bei der Frage, wer die „normalen Leute“ denn eigentlich sein sollen und wer dann eigentlich die anderen sind. Keine „normalen Leute“, also irgendwie abnormal? Was ist überhaupt das Kategoriensystem, das das eine als „normal“, das andere als jenseits der „Normalität“ verortet? Oder ist die Definition von „normalen“ oder „einfachen Leuten“ selbst schon Teil einer vertikalen Topik, in dem Sinne, dass sich all jene, die sich nicht als „normal“ ansehen, für etwas Besseres oder für etwas Interessanteres als bloß „normal“ halten? Dann wäre im Begriff der „Normalität“ ja selbst das Problem schon eingeschrieben, aus welcher Perspektive immer man es betrachtet: Aus der Perspektive derer, die sich als „normale, einfache Leute“ sehen, sind dann alle anderen die, die auf sie herabschauen (was sie als arrogant erleben), aus der Perspektive der anderen, der Nichtnormalen, sind im schlimmsten Fall die „normalen, einfachen Leute“ die, die man zum Beispiel aufklären und erziehen muss (was arrogant ist).

Rechtspopulismus

Und wer genau sind diese „normalen Leute“ nun? Die weißen männlichen Arbeiter in den Städten und Vorstädten, deren Jobs immer rarer werden, deren Einkommen sinken? Oder die Leute auf dem flachen Land, egal ob Arbeiter, Angestellte, Bauern, die in der Konformität des Antiurbanen leben und die kulturellen Veränderungen, die sich in ihren Gesellschaften abspielen, mit Verängstigung aus der Ferne betrachten? Oder die Vertreter einer bürgerlichen Normalität, die sich vor ein paar Jahrzehnten noch als kulturell hegemonial erlebte, oder besser, für die diese Hegemonie eine Selbstverständlichkeit war und die nun erleben, dass es neue herrschende Haltungen gibt, die sie verunsichern und für die von der Immigration bis zur Homo-Ehe alles Symptom des Untergangs i­hrer gewohnten Ordnungen ist?

Es ist ja diese Art Bündnis aus weißen Unterprivilegierten und kulturell entfremdeter (klein-)bürgerlicher Mittel- und Oberschicht, die der Rechtspopulismus zusammenschweißt.

Donald Trump

Aus der Sicht dieser sehr unterschiedlichen Menschen, die wahrscheinlich weniger eint, als man in grob gestrickten Wahlanalysen annimmt, sind alle anderen „das Establishment“, „die Eliten“. Ja, „alle“ heißt wirklich „alle“. Die städtischen Liberalen, die wirkliche Oberschicht in ihren Penthouses, die Banker, die kulturell abgehobenen Linken, die Journalisten, die Hauptstadtsozialdemokraten, die schrägen Vögel auf ihren Regenbogenparaden, die Subkulturkünstlernaturen, die in globalisierten Netzwerken leben, die Studentinnen und Studenten, die keine Heimat, sondern lauter Freunde aus vielen Nationen haben, die akademischen Linksradikalen, die so seltsame Wörter verwenden, die Grünen sowieso … die Liste ließe sich fortsetzen.

Mainstream-Kandidaten

Das blöde ist, dass sie zumindest teilweise recht haben. Aber es geht hier gar nicht um Selbstgeißelung, sondern darum, ein Phänomen akkurat zu verstehen. Trumps Erfolg zeigt, noch mehr als das Brexit-Votum oder der Aufstieg des Rechtspopulismus in Europa, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung mittlerweile bereit ist, einen scheinbar verrückten Typen zu wählen, nur um keinen Establishment-Kandidaten wählen zu müssen.

Alles, was sogenannte Experten bisher über Electability gesagt haben, also über „Wählbarkeit“ – haut es in die Tonne. Man hat uns gesagt, Bernie Sanders wäre nicht electable, weil er zu links, weil er zu sehr jenseits der Mitte sei. Wählbar seien nur jene, die politisch die Mitte repräsentieren können. Grob gesagt: Leute wie Blair, Schröder oder Hillary Clinton. Jeremy Corbyn dagegen, beispielsweise, sei nicht „electable“. Aber das ist Unsinn, und zwar so sehr, dass das Gegenteil wahr ist. Es wird verdammt schwer, Mehrheiten mit den gewohnten, politisch glatt geschliffenen Mainstream-Kandidaten zu gewinnen. Gelingen kann das nur mit Leuten, die selbst Anti-Establishment-Sentiments mobilisieren können. Die schräg und radikal und anti genug sind, um glaubwürdig Nicht­esta­blishment zu sein.

Und ich fürchte, zwischen ­„Problem erkannt“ und „Pro­blem gelöst“ ist in diesem Fall noch ein verdammt weiter Weg.