„Angst haben ist gar nicht schlimm. Schlimm ist, sich von ihr lähmen zu lassen“

Das bleibt von der Woche Nazis veröffentlichen am Tag der Reichspogromnacht eine Liste mit jüdischen Einrichtungen im Netz, die CDU stellt sich in Steglitz-Zehlendorf bei der Wahl einer SPD-Kandidatin quer, Klaus Lederer gibt den Landesvorsitz bei den Berliner Linken ab, und das Jazzfest Berlin funktioniert musikalisch bestens auch quotiert

Böse lachende Angstmacher

Nazi-Hetzseite im Netz

Das ist das Ziel ­solcher Aktionen: Angst verbreiten, einschüchtern

Zum 78. Jahrestag jener Nacht, die Deutschland schon allein dadurch für immer veränderte, dass sie Bilder entstehen ließ, deren Grauen- und Ekelhaftigkeit keinem anständigen Menschen je aus dem Gedächtnis gehen, posteten Berliner Nazis auf Facebook eine Liste mit Namen und Adressen jüdischer Geschäfte, Bildungseinrichtungen, Synagogen in der Stadt.

Diese direkte und eindeutige Aufforderung, an die Vernichtungstraditionen der Nationalsozialisten anzuknüpfen, zeigt unmissverständlich, als wessen Nachfolger sich heutige Rechtsextreme verstanden wissen möchten.

Dass sich Berliner Nazis damit an einem 9. November, dem Tag der Reichspogromnacht, ganz offen in die Tradition einer tödlich menschenverachtenden Ideologie stellen, das macht richtig Angst. Und genau das ist das Ziel solcher Aktionen: Angst verbreiten, einschüchtern. Wir fürchten uns, die Nazis lachen. Wir fühlen uns klein, sie sich stark.

Glücklicherweise ist das nur ein erstes Gefühl, die tatsächlichen Kräfteverhältnisse sind noch lange nicht so, zumal nicht in Berlin. Das ist einerseits gut. Andererseits führt es aber auch zu einer Gelassenheit, die wir uns nicht mehr allzu lange leisten sollten. Ja, wir sind nicht Sachsen, nicht Dresden, nicht Freital, wo Flüchtlinge von der Polizei angezeigt werden, wenn Nazis gegen sie demonstrieren. Doch auch hier häufen sich nicht nur Drohungen, sondern auch Gewalttaten, gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte, gegen Muslime und Juden, gegen AktivistInnen gegen rechts, ihre Wohnorte, ihre Einrichtungen.

„Hier ist es aber doch immer noch viel besser als anderswo, oder?“, fragte kürzlich mit eindringlichem Blick ein Kollege – es klang wie eine Beschwörung. Ja, es ist so. Damit das so bleibt, müssen wir das Erschrecken überwinden und in Empörung verwandeln. Und nicht nur wir Anständigen: Fast noch wichtiger ist, dass auch der Staat und seine Institutionen mitmachen, „klare Kante zeigen“, wie es bei Polizisten und Innenpolitikern gerne heißt. Angst haben ist gar nicht schlimm. Schlimm ist nur, sich von ihr lähmen zu lassen. Alke Wierth

Schluss mit dem Prinzip Proporz

Streit um Drohsel

Die CDU in Steglitz-Zehlendorf zweifelt an DrohselsStaatstreue

Die Konstruktion war schon lange abstrus in den zwölf Berliner Bezirken, nicht erst, seit am Mittwoch die Wahl der SPD-Stadtratskandidatin Franziska Drohsel an der CDU scheiterte. Auf Parlamentsebene, also in den Bezirksverordnetenversammlungen, kurz BVV, geht es nach dem klaren Mehrheitsprinzip: Es finden sich Koalitionen, die dort Zählgemeinschaften heißen und ihre Anliegen beschließen können, weil sie mindestens 28 der jeweils 55 Sitze haben. Logisch wäre, dass sich das auch in der Exekutive wieder finden würde, also im fünfköpfigen Bezirksamt. So wie in Abgeordnetenhaus und Bundestag eine Koalition den Regierenden Bürgermeister und die Kanzlerin wählt, die dann ihre Senatoren beziehungsweise Minister ernennen.

Stattdessen aber gilt im Bezirk das sogenannte Proporz-Prinzip: Die fünf Posten werden nach dem Wahlergebnis vom 18. September auf die Parteien aufgeteilt – obwohl dort nicht das Bezirksamt, sondern die BVV zur Wahl stand. Was im besonderen Fall dazu führen kann, dass eine starke Partei drei von fünf Posten besetzt und damit die Mehrheit in der Bezirksregierung hat, in der BVV jedoch in der Opposition ist. Bei der Wahl des Bürgermeisters ist die BVV noch wirklich gefragt, hier setzt die jeweilige Koalition ihre Kandidaten durch. Bei den vier Stadträten hingegen beschneidet das Proporzsystem die Bezirksverordneten in ihrer freien Entscheidung: Die BVV muss die Stadträte zwar wählen, aber das System legt ihren Mitgliedern nahe, die Vorschläge der jeweils anderen Parteien zu akzeptieren oder zumindest nicht dagegen zu stimmen.

Das alles galt schon als problematisch, seit absehbar war, dass nach der Abgeordnetenhaus- und BVV-Wahl qua Proporz auch die AfD Anspruch auf Stadtratsposten haben würde. Die aktuelle Debatte um die gescheiterte Wahl der SPD-Kandidatin Drohsel in Steglitz-Zehlendorf macht noch klarer, dass sich die Bezirke vom Proporz-System verabschieden müssen. Drohsel ist promovierte Rechtsanwältin, war Juso-Bundesvorsitzende – und bis 2007 Unterstützerin der Roten Hilfe. Der örtliche CDU-Fraktionschef hielt sie gegenüber der taz für „fähig, aber nicht geeignet“, Stadträtin für Gesundheit, Integration und Jugend zu werden, er und seine Fraktion zweifeln an ihrer Staatstreue.

Das kann man schlecht finden und, wie die SPD, beschämend. Der Punkt ist: Wenn eine Fraktion einen Kandidaten ablehnt, egal, ob aus fachlichen, persönlichen oder politischen Gründen, ist das eben ihre Haltung. Kein BVV-Mitglied sollte durch das Proporz-Verteilungssystem gedrängt sein, jemanden gegen die eigene Überzeugung zu wählen – und darum sollte das Abgeordnetenhaus zügig das entsprechende Gesetz ändern. Stefan Alberti

Aus eigenen Fehlern gelernt

Lederer gibt Vorsitz ab

Lederer, kein Apparatschick, hat der Partei eine Frisch­zellenkur verpasst

Die Berliner Linkspartei steht nicht nur vor der neuerlichen Regierungsverantwortung. Sie muss sich auch einen neuen Parteichef oder eine neue Parteichefin suchen. Am Dienstag gab Klaus Lederer bekannt, nicht mehr für den Landesvorsitz bei den Berliner Linken kandidieren zu wollen.

Ohne zu übertreiben, kann man sagen, dass damit eine Ära zu Ende geht. Der offen schwul lebende Lederer, der 2005 mit 31 Jahren zum Landeschef gewählt wurde, war kein Apparatschik, sondern einer, der der damaligen PDS eine Frischzellenkur verpasst hat. Nicht mehr im Stile endloser Sitzungen wurde die Partei nun geführt, sondern von einem, der kulturell der Alternativszene und der Ostberliner Hausbesetzerszene der frühen neunziger Jahre näher war als dem SED-Milieu in Marzahn. Dass die Berliner Linke heute eine demokratische Partei ist, hat sie auch diesem Vorsitzenden zu verdanken.

Dennoch musste Lederer mit ansehen, wie die Linke nach zehn Jahren Rot-Rot 2011 auf ein Wahlergebnis von 11,7 Prozent abstürzte. Es war auch Lederers Fehler. Obwohl nur wenig in die Senatszwänge eingebunden, hatte er es versäumt, die Linke gegenüber der Wowereit-SPD sichtbar zu machen.

Zu seinen Verdiensten gehört, dass er die Partei nach dem Regierungsaustritt vor einer Selbstzerfleischung (wie bei den Grünen) bewahrt hat. Der Wahlerfolg im September ist damit auch ihm zuzuschreiben, zudem war er als Spitzenkandidat das Gesicht der Partei. Der noch immer jugendlich wirkende Lederer, der ebenso schnell denkt, wie er spricht, könnte im rot-rot-grünen Senat zum heimlichen Star werden.

Umso konsequenter ist es, wenn er nun den Parteivorsitz abgibt. Damit die Linke nicht den Fehler aus rot-roten Zeiten wiederholt, muss die Partei mehr noch als die Fraktion Druck ausüben können und kampagnenfähig sein. Dafür hat er den Weg freigemacht. Ob Katina Schubert als mutmaßliche Nachfolgerin geeignet ist, müssen die Delegierten des nächsten Parteitages entscheiden. Die Fußstapfen, die Lederer hinterlässt, sind groß. Uwe Rada

Genderquote ganz ohne Pomp

Jazzfest Berlin

Gute Musik gibt es – große Überraschung – von Männern wie von Frauen

Gegen Quoten werden ja gern skeptische Argumente vorgebracht. Die sollen an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Interessanter ist die Frage, was passiert, wenn man sie einmal konsequent einführt. So geschehen beim am Sonntag zu Ende gegangenen Jazzfest Berlin.

Richard Williams, der dieses Jahr zum zweiten Mal das Festival als künstlerischer Leiter verantwortete, hatte sich für eine Geschlechterquote entschieden, das Programm sollte fifty-fifty mit Frauen und Männern als Bandleadern besetzt werden. Das tat er nicht mit lautstarken „Wir-sind-Gender-Avantgarde“-Gebaren, sondern in der ihm eigenen britischen Unaufgeregtheit. So war im Programm lediglich von „Performer*innen“ zu lesen, und bei der Besetzung der Abende mag dem einen oder der anderen eine für Jazzfestivals sonst ungewöhnliche Häufung weiblicher Namen aufgefallen sein.

So weit, so gut.

Aber wichtiger als die Gendergerechtigkeit, könnte man einwenden, ist doch die Qualität der Musik. Aus eigener Beobachtung lässt sich dazu festhalten: Am Eröffnungsabend standen zwei weibliche und ein männlicher Bandleader auf dem Programm. Das Quartett der Pianistin Julia Hülsmann, ergänzt um die junge Saxofonistin Anna-Lena Schnabel, spielte elegant-intelligenten und uneitlen Kammerjazz. Weniger überzeugend die junge norwegische Saxofonistin Mette Henriette, die zwar über ein großes Repertoire an stilistischen Gesten verfügte, diese aber zu eher substanzarmen Klanggebilden arrangierte. Highlight dann der US-amerikanische Avantgarde-Trompeter Wadada Leo Smith mit einem packend avancierten Ensemblespiel seines Great Lakes Quartet.

Am Samstag hingegen sah die Lage schon wieder ganz anders aus. Da bot die einzige Frau weit und breit, die Saxofonistin Angelika Niescier, mit ihrem Quintett den Höhepunkt des Abends. Der Schweizer Nik Bärtsch langweilte hingegen kolossal bei der Begegnung seiner „Zen Funk“-Band Ronin mit der hr-Bigband. Und die Schlagzeuglegende Jack DeJohnette gab ein Konzert auf hohem Niveau, über dessen Gelingen man jedoch geteilter Meinung sein kann.

Für die Quote heißt das: Gute Musik gibt es – große Überraschung – von Männern wie von Frauen. Weniger gute ebenso. Großes Lob daher an das Jazzfest für diesen unter Kulturveranstaltern anscheinend immer noch schwierigen Schritt. Eigentlich müssten das alle so machen – ohne Reklamebegleitung, sondern ganz selbstverständlich. Tim Caspar Boehme