Amerikanischer Albtraum

In seinen Reden griff Donald Trump Latinos, Muslime, Homo­sexuelle und Frauen an. Wie fühlen sie sich jetzt, nach seinem Sieg?

„Alles Rassisten?“

Reaktionen Trauer, Wut, Resignation und die Überlegung auszuwandern – bei vielen US-Bürgern sitzt der Schock tief, doch nicht alle sind vom Wahlergebnis überrascht

Ich greife nach jedem Strohhalm. Sage, dass er doch so gern lügt. Da hat er vielleicht auch gelogen, als er die ganzen Dinge gesagt hat im Wahlkampf. Wir sitzen am Frühstückstisch. Wir fühlen uns überrollt und überrumpelt am Morgen danach. Meine Frau, meine beiden Töchter, sie sind sechs und acht Jahre alt. In den Wahlkampfwochen haben sie gehört, dass Trump gegen Mädchen ist und gegen Leute, die nicht weiß sind. Also auch gegen sie. Oder gegen die zwei Jungs auf ihrer Schule, die Turban tragen. Was passiert, wenn er gewinnt?, haben sie in den letzten Wochen gefragt. Dann ziehen wir weg, habe ich gescherzt. Ziehen wir weg?, fragen sie jetzt.

Wir wohnen in Jupiter, Palm Beach County, Florida. Letzte Nacht war das ein sogenannter Battleground State. Meine Frau kam als Kind von den Philippinen in die USA. Ich bin aus Deutschland. Unsere Töchter sind in den USA geboren. Eine richtige Einwandererfamilie.

Letztes Jahr haben wir mit dem Gedanken gespielt, nach Berlin zu ziehen. Nach zwölf Jahren USA ein Wechsel? Letztes Jahr las ich online den Begriff „Dunkeldeutschland“. Wir sind im sonnigen Florida geblieben. Wir wollen etwas aufbauen. Vielleicht, sage ich, will Trump ja nur vier Jahre um die Welt reisen: Alle Regierungschefs küssen ihm die Hand, und er ist zufrieden. Aber da ist auch die Frage nach seinen Wählern. Jeder Zweite hier wählt Trump. Alle weiß. Alle mit Abschluss. Alle Rassisten? Nachher kommen die Kinder aus der Schule.

Dominik Sachsenhaimer, 43

Foto: privat

Ich habe Angst – vor allem um meine Familie, Freunde und Nachbarn, die in die USA gekommen waren, weil sie ihren Traum wahrmachen wollten, die hart arbeiten und so viel beitragen in ihren Gemeinden. Ich sehe schon jetzt so viel ungezügelten Hass in diesem Albtraum. Als Frau, die wie so viele sexuelle Übergriffe überlebt hat, bin ich sprachlos, schockiert. Ich möchte meine drei Söhne in dieser Vergewaltigungskultur dazu erziehen, Frauen zu respektieren. Ich fühle mich verraten.

Ernestina Osorio, 47, aus L.A., Kalifornien

Foto: privat

Mein Leben lang habe ich zugesehen, wie diese hochgebildete, hart arbeitende, ehrgeizige Frau immer wieder durch den Dreck gezogen wird. Und wofür? Jahrelange Erniedrigung, damit sie dann die ultimative Niederlage erlebt und die Präsidentschaft an einen ungebildeten, rassistischen, misogynen Deppen verliert? Als eine Frau, die möglicherweise in ihrem Geburtsland nie die Wahl einer Frau zur Präsidentin erleben wird, nehme ich dieses Ergebnis sehr, sehr persönlich.

Michele Faguet, 45, aus Georgia, wohnt in Berlin

Foto: privat

Dieses Ergebnis war für uns beide eine Überraschung. Wir sind schockiert und enttäuscht. Wir machen uns auch Sorgen, dass Donald Trump nun das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe rückgängig macht, die Bedingungen für Krankenversicherung ändert – und natürlich besorgt es uns, dass er oberster Befehlshaber der USA wird.

Wir hoffen jetzt, dass Trump nicht so hasserfüllt und rassistisch ist wie seine Unterstützer. Wir müssen positiv bleiben und dürfen die Hoffnung nicht verlieren.

Karl Zoisl, 66 und William Bottke, 65, wohnen in Fort ­Lauderdale, Florida

Foto: privat

Gerade rege ich mich nicht besonders auf. Im letzten Jahr habe ich zugesehen, wie die schlimmste Engstirnigkeit, der Chauvinismus, all die Heuchelei in den USA in die Öffentlichkeit getragen wurde – also bin ich nun auch nicht überrascht von Trumps Sieg. Meine große Hoffnung ist, dass die nächsten vier Jahre eine Lektion für uns sind und dass wir dann anfangen, wirklich dieses „große“ Land zu werden, dass wir denken zu sein.

Larry Paul, 69, aus New Jersey, lebt in Maryland

Foto: Sevi Tsoni

Das Ergebnis macht mich traurig, aber ich bin nicht überrascht. Um die politische und gesellschaftliche Situation in den USA zu verbessern, müsste erst die Vergangenheit kritisch betrachtet und wahrgenommen werden. Doch wenn die offenen Wunden – Genozid, Sklaverei, weiße Vorherrschaft und eine ganze Menge Rassismus – auf das Zweiparteiensystem, das wir „Demokratie“ nennen, trifft, dann kriegt man am Ende Trump als Präsidenten.

Das System ist kaputt. Und nun haben nicht nur US-Amerikaner Angst, jeder hat Angst. Ich sorge mich um meine gesetzestreue, gutherzige, hart arbeitende Familie, die ihr Leben dem Wohlergehen dieses Landes gewidmet hat. Ja, wir sind schwarz und sehr amerikanisch.

Mit was für verrückten, irrationalen politischen Entscheidungen werden sie leben müssen, wenn Trump Präsident ist? Ich hoffe dieses Ergebnis öffnet den Leuten die Augen und ist langfristig Anlass für eine grundlegende politische Reform.

Sera Kalo, 29, aus Connecticut, wohnt in Deutschland

Foto: privat

Trumps Sieg wird unweigerlich vieles von dem Fortschritt zurückdrehen, der in den Jahren unter Obama gemacht wurde. Als Leiter einer atheistischen Gemeinde für Exmuslime und LGBT-Leute sehe ich die Wahl von Donald Trump als vernichtenden Schlag gegen unsere Vision, eine Brücke zwischen dem Islam und dem Westen zu bauen. In seiner Angstkampagne stellte Donald Trump die Grausamkeiten heraus, die von Islamisten und Dschihadisten begangen wurden. Damit wollte er den Islam für Probleme verantwortlich machen und von der Engstirnigkeit und dem Rassismus der eigenen Leute ablenken. Man kann Trump nicht abnehmen, dass er sich international für Menschenrechte einsetzen wird, hatte er doch gelobt, auf der bürgerlichen Freiheit hier, zu Hause in Amerika, herumzutrampeln.

Nemat Sadat, 37, geboren in Kabul, wohnhaft anonym