betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

Esther Slevogt

Vielleicht hat es mit dem fehlenden Licht zu tun: dass man sich in diesen Tagen besonders nach Orten der Verwandlung sehnt. Der Ort der Verwandlung schlechthin ist ja das Theater. Auch wenn’s immer wieder Leute gibt, die versuchen, uns den Spaß daran zu verderben: weil sie hier eine moralische Anstalt mit Frontalunterricht installiert haben. Besserwisser- und Stillsitztheater, wo wir schweigend im Dunkel des Zuschauerraums auszuharren haben und höchstens klatschen dürfen. Dabei wollten wir Licht. Ein Theater in Berlin, das niemanden belehren, aber umso mehr verzaubern will, ist die Schaubude an der Greifswalder Straße. Dort herrschen die beseelten Dinge, regiert das belebte Objekt. In dieser Woche zum Beispiel gibt es das „Kleine Wintermärchen“, ein Stück für Kinder ab 4 Jahren. Aber diese Altersbegrenzung gilt nur nach unten, denn auch bei älteren Kindern und Erwachsenen werden die Figuren aus wirklichem Eis ihre Wirkung nicht verfehlen, wenn es sie in den vereisten Garten der Winterfee und den wunderlich gefrorenen Gestalten verschlägt, wo tief in der Erde ein Zwerg namens Sylvester schon von Frühlingsblumenzwiebeln träumt. (Noch heute, 10 Uhr).

Auch gedenkt man in der Schaubude in dieser Woche des 175. Todestags des russischen Dichters Alexander Puschkin. Und zwar mit einer Theaterversion der berühmten Erzählung „Pique Dame“, für die in der Greifswalder Straße einen Theaterabend lang die Übergänge zwischen Mensch und Objekt, Puppe und Spieler ganz und gar durchlässig sind. (Freitag bis Sonntag, jeweils 20 Uhr).

Puschkin starb am 29. Januar 1837 an den Folgen einer Schussverletzung, die er sich in einem Duell zugezogen hatte, in Moskau. Dort starb, fast ein halbes Jahrhundert zuvor, auch deutsche Dichter Johann Michael Reinhold Lenz, in seinen letzten Jahren zunehmend verwirrt und verelendet. Am 24. Mai 1792 fand man Lenz tot auf einer Moskauer Straße auf. Unsterblich wurde er aber nicht zuletzt durch die Erzählung von Georg Büchner, „Lenz“, der ihn darin zum ersten und fast archetypischen Exemplar des transzendental obdachlos gewordenen Menschen der anbrechenden Moderne machte, der in der gottverlassenen Welt nicht mehr heimisch werden kann. In der Box des Deutschen Theaters befasst sich nun die junge Regisseurin Lilja Rupprecht mit dem berühmten Stoff. (Premiere am Sonntag). Als Schauspieler mit von der Partie: Somnambulismusspezialist Ole Lagerpusch.

■ Mehr Theater:

Anarchie in Bayern SEITE 3

Bewegungsschreiber SEITE 3

Nach Westen SEITE 11