„Über Grenzen“

Hymne II Kaum jemand kann sich mit dem Niedersachsenlied identifizieren. Wieso eigentlich?

Heute feiert Niedersachsen 70. Geburtstag Foto: dpa

taz: Herr Rösner, ist die Niedersachsen-Hymne ein politisches Lied?

Hans Rösner: Im weitesten Sinne ja, denn es bezieht sich auf die Zeit der Sachsenkriege, als Herzog Widukind 777 bis 785 im Sachsenhain bei Verden den erfolglosen Kampf gegen die Franken anführte. Darüber hat Hermann Löns 1913 die Erzählung „Die rote Beeke“ – der rote Bach, gefärbt von Sachsenblut – verfasst. Dieses Werk wiederum hat wohl der Braunschweiger Lehrer Hermann Grote gekannt, als er 1926 Text und Melodie des Niedersachsenliedes schuf.

Merkwürdig. Die eigene Niederlage als Kern einer Hymne?

Es geht wohl eher um den entschlossenen Kampf gegen die Feinde. Außerdem gibt es ja auch eine Strophe, die von der erfolgreichen Varusschlacht gegen die Römer im Teutoburger Wald handelt.

Im Lied heißt es, Niedersachsen reiche „Von der Weser bis zur Elbe“. Wo bleiben Ostfriesen, Oldenburger, Emsländer, Osnabrücker?

Es geht eher um historische Grenzen. Andererseits war der Begriff „Niedersachse“ schon Mitte des 19. Jahrhunderts ein Konstrukt mit nicht klar definierten Zugehörigkeiten. Die Oldenburger zum Beispiel singen bei feierlichen Anlässen lieber ihre Oldenburg-Hymne. Mit dem Niedersachsenlied identifizieren sich wohl am ehesten die Menschen im Bereich des alten Hannoverschen Landes um Lüneburg herum.

Hans Rösner

Foto: privat

75, der ehemalige Verwaltungsbeamter ist ehrenamtlicher Archivar des Landesverbandes der Feuerwehr Niederachsen.

Wieso hatte das Lied in der Nazi-Zeit Hochkonjunktur?

Die Machthaber des Dritten Reichs empfanden das Lied offensichtlich als geeignet, um ihre Ideologie zu transportieren. Dazu muss man sagen, dass der Lieddichter Hermann Grote – obwohl als Lehrer wahrscheinlich Parteimitglied – über den Missbrauch seines Liedes nicht erfreut war. Meinen Recherchen zufolge kam es deshalb zu einem ideologischen Streit mit der NSDAP-Führung, woraufhin er zur Unperson erklärt wurde.

Lea Rosh, von 1991 bis 1997 Direktorin des NDR-Landesfunkhauses Hannover, hat verboten, dass der Text gespielt wurde. Sie fand ihn faschistoid.

Ja, seither erklingt auf NDR 1 nur ein Teil der Melodie, an mehreren Stellen im Tagesprogramm.

Die ersten zwei Strophen des NiedersachsenlIEDES

Während der Fußballverein Hannover 96 das Lied gar nicht mehr spielt, seit Fans beim Refrain „Heil Herzog Widukinds Stamm“ den Hitlergruß zeigten.

Das wusste ich nicht. Aber es ist natürlich eine geeignete Reaktion.Interview: ps