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Hoffnung auf eine gesellschaftskritische PerformanceOppressionspyramide

Liebling der Massen

vonUli Hannemann

Als ich mich dem Hermannplatz nähere, lenkt ein dichtes Spalier aus Schaulustigen meine Aufmerksamkeit auf eine wilde Szene: Auf der mehrspurigen Fahrbahn der Hasenheide stapelt sich ein knappes halbes Dutzend zappelnder Männer übereinander, ähnlich einem Jubelhaufen, wie man ihn nach Torerfolgen beim Fußball sehen kann. Um sie herum staut sich der Verkehr.

Zuerst denke ich, das ist ja kindisch – die raufen da mitten auf der Straße. Doch dann sehe ich, dass ein einzelner Mann von den anderen „zu Boden gebracht“ wurde, wie man so unschön sagt, und dort von ihnen festgehalten wird. Ganz oben auf dem Männerberg befindet sich ein blütenweißer Wachmann, wohl von Karstadt, darunter drei etwas dunklere Typen – eventuell Syrer, die machen ja neuerdings die Polizeiarbeit –, und ganz unten liegt das Opfer oder der Täter oder beides: ein Schwarzafrikaner.

Meine kurzzeitige Hoffnung, dass es sich um eine gesellschaftskritische Performance der HdK – Titel: „‚Three Colors.‘ Eine lebende Oppressionspyramide im öffentlichen Raum“ – handelt, macht der desillusionierende Auftritt einer Karstadt-Verkäuferin zunichte, die aus Richtung des gegenüber befindlichen Kaufhauses herbeigeeilt kommt.

Ein schlechter Mensch

Sie tritt dicht an den Verhafteten heran und schreit ihn an: Er sei ein schlechter Mensch. Kurz fürchte ich, sie stiefelt gleich auf den Wehrlosen ein, doch sie zieht sich auf den Mittelstreifen zurück. Der Festgenommene wird aufgerichtet und, soweit ich das erkennen kann, unbeschädigt zu einem Zivilfahrzeug gebracht.

Dritter Akt. Der obligatorische Auftritt des politisch korrekten und zugleich von einer Kenntnis der tatsächlichen Geschehnisse völlig unbeleckten Grauzopfs, der im Epilog des ausgehenden Dramas langsam hinter den Gaffern vorbeischnürt und in Richtung der Exekutive murmelt: „Ihr solltet euch was schämen.“

Ein Muster an Zivilcourage – warum bloß bekommen Grauzöpfe nicht schon zur Geburt pauschal das Bundesverdienstkreuz verliehen? Der mutmaßliche Verdächtige ist schließlich schwarz. Also kann er rein gar nichts gemacht haben, logisch. THC-induzierter Positivrassismus von schräg hinten links. Es ist alles so einfach und bequem und natürlich für alle Seiten: rechts, links, oben, unten. Und bequem soll es vor allem ja auch sein: das Leben ein Sofa, die eigene Meinung das Sofakissen. Bitte nicht stören!

Womögliche Ausweisung

Als ich mich viel zu spät aus der Menge der Spanner schäle, bringt sich mir ein entscheidender Makel der ohnehin schon hässlichen Szene in Erinnerung. Wenn der Mann was ausgefressen hat, wird er nicht nur bestraft wie jeder andere, sondern anschließend je nach Status womöglich auch noch ausgewiesen. Die antike Strafe der Verbannung galt zu Recht als nächste Stufe nach der Todesstrafe. Ob im alten Rom oder im Britischen Empire.

Auf das im Grundgesetz (Paragraf 103) verankerte Verbot der Doppelbestrafung für ein und dieselbe Tat wird so mal eben rasch, wie der Juristenjargon den Kunstgriff nennt, „geschissen“. Aber ist ja auch nur das Grundgesetz („Grundgesetz, Schundgesetz“, trällerte bereits Heinrich Himmler beim morgendlichen Zähneputzen), das hat doch allenfalls empfehlenden Charakter, mit dem Emo-Pamphlet soll man sich wohl getrost den Arsch abwischen. Der vermutlich dahinterstehenden Logik, „Doppelbestrafung für doppelt Geflüchteten“, kann ich nichts abgewinnen.

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