Mit Gott und ohne Sex ins Europa der Vaterländer

Die stärkste Partei Polens, die PiS, will die „Rückkehr zum Denken in nationalen Interessen“. Dementsprechend sieht ihr Europaprogramm aus

WARSCHAU taz ■ „Wenn ich Präsident werde, fahre ich als Erstes in die USA“, verkündet Lech Kaczynski immer wieder. „Die Vereinigten Staaten sind unser wichtigster strategischer Partner“, davon ist der Oberbürgermeister Warschaus überzeugt.

Ganz anders sieht das sein Gegenkandidat Donald Tusk. „Ich würde als Erstes Deutschland und Frankreich besuchen. Unsere Zukunft liegt in Euro- pa.“

Dass solche Sätze, die irgendwann gegen Mitternacht in einem engen Warschauer Wahlstudio fallen, auch in Brüssel gehört werden, überraschte manche Politiker in Polen. Für Parteimitglieder der rechtspopulistischen Recht und Gerechtigkeit (PiS) und der konservativ-liberalen Bürgerplattform (PO) ist es eine neue Erfahrung, sich plötzlich in einer „europäischen Öffentlichkeit“ zu bewegen. Polen ist seit dem 1. Mai 2004 EU-Mitglied.

Selbst die außenpolitischen Programme der künftigen Regierungskoalition in Polen drangen schon bis nach Brüssel, Berlin, Madrid, Paris und andere EU-Hauptstädte und sorgten prompt für Unruhe. „Wir streben die Rückkehr zum Denken in nationalen Interessen an“, heißt es beispielsweise im Programm der PiS. „Die Entwicklung Polens und die Stärkung seiner Rolle in der internationalen Politik wird nicht möglich sein ohne den definitiven Bruch mit den Fehlern der Euro-Enthusiasten und der postkommunistischen Politik, die frei war vom Geist der Souveränität.“

Ziel solle daher, so meint die PiS, die größtmögliche Unabhängigkeit innerhalb der EU sein. Ein „Europa der Vaterländer“ schwebt den PiS-Politikern vor, ein Wirtschaftsverband ohne gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik, dafür aber auf der Basis des Christentums und der restriktiven katholischen Sexuallehre. Brüssel habe sich in moralische Fragen nicht einzumischen. Moral und Anstand seien nationale Fragen.

Was damit gemeint ist, machte Lech Kaczynski vor kurzem überdeutlich: Er verbot in Warschau eine Homosexuellen-Parade und genehmigte wenig später eine Rechtsradikalen-Demonstration, die unter dem Namen „Normalitäts-Parade“ lief.

Polen unter einer PiS-geführten Regierung soll nicht nur einen ganzen Teil der an die EU abgetretenen Souveränitätsrechte wieder zurückholen und zu diesem Zweck auch bisherige Verträge kündigen. Das Allerwichtigste ist das Geld. Polen soll sich darauf konzentrieren, bei den EU-Haushaltsverhandlungen die größtmögliche Summe für Polen als Nettoempfänger herauszuholen. Maßgeblich sei hier das Solidaritäts-Argument: Die reichen Staaten sollen den armen helfen.

Auch Donald Tusk setzt auf Solidarität. Doch anders als Lech Kaczynski kennt er Deutschland und Frankreich gut und hat in diesen Ländern auch politische Partner und Freunde.

Im Europäischen Parlament ist die PO Mitglied der konservativen „Europäischen Volkspartei und Demokraten für Europa“, der stärksten Fraktion im Parlament. Die PiS hingegen gehört der kleinsten Fraktion an, der europaskeptischen „Union für das Europa der Nationen“, in der sich nationalistische Parteien zusammengeschlossen haben.

Als Donald Tusk vor kurzem seinen ersten offiziellen Besuch bei Manuel Barroso in der Europäischen Kommission machte, organisierte auch die PiS für Lech Kaczynski einen Besuch. Als die beiden zurückkamen, meinte Tusk: „In den europäischen Institutionen ist niemand wegen Polen besorgt.“ Da mag er Recht haben. Kaczynski verkündete: „Zwischen uns gibt es keine prinzipiellen Unterschiede, was die Außenpolitik angeht.“ Da hat er wohl sein eigenes Programm nicht richtig gelesen.

GABRIELE LESSER