DIE KLEINE WORTKUNDE

Den „Vulgärmarxismus“ kennt man: ein Schmähbegriff für Pseudorevoluzzer, der im linken Spektrum leicht zum Totschlagargument gegen „falsche“ Marx-Interpretationen werden kann. Vor einem VULGÄRRATIONALISMUS, der antisemitische und antiislamische Untertöne gehabt habe, sprach nun Präsident Gauck bei der Eröffnung der Ulmer Synagoge mit Blick auf die Beschneidungsdebatte. Eine neue Wortschöpfung mit einem unangenehmen Nachklang – wegen ihrer unterschwelligen Skepsis gegenüber vernunftgeleitetem Denken. Das Wort „vulgär“ wurde im 17. Jahrhundert vom französischen vulgaire entlehnt. „Rationalismus“ zurückgehend auf das lateinische rationalis (vernünftig, vernunftgemäß) bezeichnet eine philosophische Strömung.

Gauck hat recht: Rationalismus, der als berechnendes Effizienzdenken auftritt und sich über nicht rational funktionierende Bereiche wie Kultur oder Religion stellt, ist gefährlich, wenn er isoliert und total auftritt. Der Absolutheitsanspruch von Religionen kann jedoch auch gefährlich sein, wenn sie nicht in Diskurs mit der Gesellschaft eintreten – was Gauck ebenfalls betonte. WENK